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Blüm

© dpa

Gastkommentar: Schwarz-gelbe Geisterfahrer

Man kann aus Schaden klug werden. Man muss es aber nicht. Kopfpauschale und Pflege-Riester sind ein Angriff auf den Sozialstaat, schreibt der frühere Arbeits- und Sozialminister Norbert Blüm (CDU) in einem Gastkommentar für den Tagesspiegel.

Mit der Kopfpauschale ging die CDU in der Bundestagswahl 2005 baden. 2009, nach der Bundestagswahl, versucht sie es wieder mit dem einkommensunabhängigen Beitrag zur Krankenversicherung, der für alle gleich hoch sein soll. Wenn der Chef den gleichen Beitrag zur Krankenversicherung zahlt wie sein Chauffeur und der Meister den gleichen wie der Hausmeister, musst Du nicht Plato, Aristoteles oder Kant gelesen haben, um das für ungerecht zu halten. Es genügt der gesunde Menschenverstand. Der hat für solche Fälle seit alters her die Faustformel: „gleiches gleich und ungleiches ungleich zu behandeln“.

Die Kopfpauschale behandelt Ungleiches gleich. Mit der Kopfpauschale soll die gleiche Geldsumme aufgebracht werden, die bisher mit dem einkommensproportionalen Beiträgen für die Krankenversicherung beschafft wurde. Die Kopfpauschale wirkt wie eine Durchschnittsregel, der Durchschnitt entsteht, indem die einen mehr, die anderen weniger zahlen. Mehr zahlen die, welche weniger verdienen, und weniger zahlen die, welche mehr verdienen. Das ist die Logik der Kopfpauschale. Sechs Punkte lassen sich als ihr Ergebnis festhalten, und sie fallen allesamt negativ aus.

Erstens: Die Kopfpauschale ist ein Schlag gegen die Gerechtigkeit. Der soziale Ausgleich, der bisher mit Hilfe des einkommenproportionalen Beitrags krankenversicherungsintern zustande kam, soll jetzt durch das Finanzamt organisiert werden. Die einkommensschwachen Versicherten sollen einen staatlichen Zuschuss zu ihrer Kopfpauschale erhalten.

Zweitens: Die Kopfpauschale löst mehr Staat und Transfer aus. Oberhalb der Einkommensgrenzen, bis zu der staatlicher Zuschuss gezahlt wird, bleibt es bei der nivellierenden Wirkung der Kopfpauschale, die alle Einkommensunterschiede über einen Kamm schert. Die mittleren Einkommen zahlen die Zeche. Die sollten eigentlich durch die Steuerreform besonders entlastet werden.

Drittens: Die Finanzierung des steuerfinanzierten Zuschusses steht im Widerspruch zu den Zielen der Steuerreform. Bei Ermittlung der Zuschussbedürftigkeit kann die Lohnhöhe nicht das einzige Kriterium sein. Ein Teilzeit arbeitender Millionär würde sonst zum Zuschussberechtigten erklärt. Also müssen alle Einkommensverhältnisse der Zuschussempfänger aufgeblättert werden. Hartz IV lässt grüßen. Der Sozialstaat mendelt sich so zur allgemeinen Bedürfnisprüfungsanstalt.

Viertens: Die Kopfpauschale hat mehr Bürokratie im Gefolge. Der Arbeitgeberanteil an der Finanzierung der Krankenversicherung soll eingefroren werden. Damit zahlen die Arbeitnehmer alle zukünftigen Kostensteigerungen allein. Die Arbeitgeber sind aus der Anstrengung zur Dämpfung der Gesundheitskosten entlassen. Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände kann ihr Mitglied Pharmaindustrie von der Kette lassen. Die Entwicklung der Gesundheitskosten interessiert die Arbeitgeber fortan nicht mehr.

Fünftens: Das Festschreiben des Arbeitgeberbeitrages mindert den Druck auf die Kostensenkung. Die paritätische Finanzierung der Sozialversicherung und die Selbstverwaltung waren die Schule der Sozialpartnerschaft. In ihr wurde der Interessenausgleich zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber eingeübt. Nach der Riester-Rente wird der schleichende Ausstieg aus der gemeinsamen Verantwortung der Sozialpartner für den Sozialstaat fortgesetzt. Der Krankenversicherung folgt die Pflegeversicherung. Die Pflegeversicherung soll durch eine kapitalgedeckte private Zusatz-Pflichtversicherung ergänzt werden, die nur von den Arbeitnehmern bezahlt werden soll.

Sechstens: Die Sozialpartnerschaft wird langsam, aber stetig plattgemacht. Am Ende des Weges steht das Bündnis der Verstaatlicher und der Privatisierer. Die einen brauchen den anderen. Die Verstaatlicher bedürfen der Privatisierer, weil sie die Aufgabe einer relativen Lebensstandardsicherung nicht lösen können. Die Privatisierer sind auf die Verstaatlicher angewiesen, denn sie haben keine Antwort auf das Armutsproblem. Armut ist nämlich kein Geschäft.

Siebtens: Die Kopfpauschale und ihre Folgen führen in einen anderen Sozialstaat. Auf der Strecke bleibt die subsidiäre Solidarität, wie sie in einer auf Gegenseitigkeit angelegten und mit sozialem Ausgleich ausgestatteten Sozialversicherung grundgelegt ist. Eine Reform des Sozialstaats müsste auf mehr staatsfreie, selbstverwaltete Solidarität zielen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Geisterfahrer haben Vorfahrt.

Kopfpauschale oder Bürgerversicherung – in diesem Streit geht es um die Frage: „Wie kommt die Krankenversicherung ans Geld der Leute?“ Es sollte nicht der Sinn und Zweck der Krankenversicherung vergessen werden: Heilung von Kranken! Und wo sind die Grenzen der Solidarität? Die Krankenversicherung ist nicht für alles zuständig, was das Wohlbefinden beeinträchtigt.

Der Autor war von 1982 bis 1998 CDU-Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.

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