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Gastkommentar: "Seefahrt bedeutet außergewöhnliche Belastung"

Wie tauglich war die auf der „Gorch Fock“ verunglückte Kadettin?

Warum die Offiziersanwärterin Sarah S. im vergangenen November auf der „Gorch Fock“, dem Schulsegelschiff der Bundeswehr, zu Tode stürzte, ist bisher ungeklärt. Von exzessivem Drill, Saufgelagen und demütigenden Ritualen ist die Rede. Aus Sicht des Verteidigungsministers mögen dies Gründe genug gewesen sein, den Kommandanten des Schiffes vom Dienst zu suspendieren. Doch hatte der Kapitän auch Mitschuld am Tod der jungen Soldatin? War sie möglicherweise körperlich nicht fit genug, um in die Takelage zu klettern?

Während Staatsanwaltschaft und Marine prüfen, ob es einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Unfall und etwaigem Fehlverhalten der Vorgesetzten gab, wurden am Montag zwei simple Zahlen publik. Wenn sie stimmen, geben sie der Affäre eine neue Dimension, die weit über die „Gorch Fock“ hinaus geht: Die Soldatin war angeblich nur 1,58 Meter groß und wog zum Zeitpunkt des Unglücks 83 Kilogramm. Mit diesem stolzen Übergewicht wäre sie für den Einsatz an Bord bereits formal untauglich gewesen.

Dass der Dienst an Deck eines Schiffes besondere körperliche Fähigkeiten erfordert, weiß man bei der Marine genau. Für die „Verwendungsreihe 11 – Decksdienst“ wird deshalb neben der allgemeinen „Bordverwendungsfähigkeit“ zusätzlich „Widerstandskraft bei den auftretenden besonderen seemännischen Anforderungen“ verlangt, denn „Seefahrt bedeutet außergewöhnliche Belastung“. Diese Erkenntnis galt bereits für die Kaiserliche Marine anno 1871. Trotzdem gibt es bei der Bundeswehr bis heute keine konkrete Vorschrift, wie die besondere Belastbarkeit für den Decksdienst festzustellen ist. Nicht einmal die allgemeine „Bordverwendungsfähigkeit“ ist genau definiert. In der Regel behelfen sich die Truppenärzte, indem sie eine allgemeine Tauglichkeitsuntersuchung nach „BA 90/5“ durchführen und zusätzlich die Fähigkeit zum Tragen von schwerem Atemschutz nach „G 26.3“ verlangen. Diese arbeitsmedizinische Untersuchung gilt als härtester Test für körperliche Fitness. An den hohen Anforderungen beim Belastungs-EKG und dem strikten Ausschluss von Übergewicht ist schon so manch gestandener Feuerwehrmann gescheitert.

Ob die tödlich verunglückte Kadettin den Fitnesstest nach G 26.3 bestanden hat, darf bezweifelt werden. Neben dem anspruchsvollen Leistungstest auf dem Fahrradergometer ist Voraussetzung, dass der Body-Mass-Index (BMI) unter 30 liegt. Der BMI wird berechnet, indem man das Gewicht durch das Quadrat der Körpergröße teilt. Mit 83 Kilo und 1,58 Metern hätte Sarah S. einen BMI von 33,2 gehabt. Gemäß den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation entspricht dies bereits einer „behandlungsbedürftigen Fettsucht“. Ein BMI zwischen 25 und 30 gilt als „Übergewicht“, der Normalbereich für eine 25-jährige Frau liegt bei 20 bis 25.

Demnach war die verunglückte Offiziersanwärterin weder für den Decksdienst geeignet noch allgemein bordverwendungsfähig. Darüber hinaus erfüllte sie nicht einmal die Anforderungen, die bei der allgemeinen Musterung an alle Soldaten gestellt werden: Gemäß der einschlägigen Dienstvorschrift „ZDv 46/1“ führt ein BMI ab 30 zum Tauglichkeitsgrad T 4 – „vorübergehend nicht wehrdienstfähig“. Ausnahmen von dieser Vorschrift gibt es nur bei extrem trainierten Sportlern, die aufgrund der hohen Dichte von Muskelgewebe einen hohen BMI haben können, ohne fettleibig zu sein.

Die „Gorch Fock“ hatte, wie alle größeren Schiffe der Bundeswehr, einen gut ausgebildeten Schiffsarzt an Bord. Wenn die kurz vor dem Unfall eingeschiffte Sarah S. tatsächlich stark übergewichtig war, hätte ihr eine Standarduntersuchung mit Waage und Zollstock das Leben retten können. Doch dafür gab es keine Vorschrift, denn die „Belegart 90/5“ wird im Regelfall nur alle drei Jahre ausgefüllt. Warum das so ist, wird nicht der suspendierte Kommandant des Segelschiffes, sondern die oberste Führung der Bundeswehr erklären müssen.

Der Autor ist Mikrobiologe und Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle.

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