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Meinung: Gastkommentar: Unbekannte Verwandte

Langsam, ganz langsam beginnen die Briten die Deutschen als Cousins anzuerkennen. Vielleicht nicht als die Art von Cousins, mit denen man eine Wüste oder eine Baleareninsel teilen wollte, aber doch als europäische Verwandte, von denen man ein paar Tricks über das Leben abgucken kann.

Langsam, ganz langsam beginnen die Briten die Deutschen als Cousins anzuerkennen. Vielleicht nicht als die Art von Cousins, mit denen man eine Wüste oder eine Baleareninsel teilen wollte, aber doch als europäische Verwandte, von denen man ein paar Tricks über das Leben abgucken kann. Zen-Meister in Brimingham lehren zum Beispiel schon die Kunst des passiven Angriffs, so wie er von deutschen Fußballern erfunden wurde. Und vom deutschen Gesundheitssystem geht derzeit eine gewisse Faszination aus.

So hofften wir, dass die Deutschen uns auch in Sachen Euro den Weg weisen würden. Ihr habt dieses neue Spielgeld nicht gemocht, genauso wenig wie wir. Meinungsumfragen in beiden Ländern haben gezeigt, dass zwei Drittel unserer Nationen gegen den Euro waren, als der furchtbare Vertrag von Maastricht unterzeichnet wurde. Deswegen haben wir aufmerksam zugeschaut. Wie werden die Deutschen auf die Einführung des Euro reagieren? Die Briten dürfen ja noch - anders als die Deutschen - in einem Referendum über die Einführung des Euro abstimmen. Die Regierung entscheidet aber über den Termin des Referendums und die Formulierung der Fragen. Die deutsche Stimmung ist deswegen sehr wichtig - für die Briten und für Tony Blair.

Und jetzt kommt das Mysterium: Nachdem sie sich jahrelang über die Ermordung der Mark beschwert haben, wie verhielten sich die Deutschen, als die ersten Euros zur Verfügung standen? Wie hysterische Michael-Jackson-Fans. Eine meiner ermüdensten Aufgaben als Auslandskorrespondent besteht darin, an Ereignissen teilzunehmen, denen später vielleicht historische Bedeutung beigemessen wird (Parties mit Ariane Sommer, FDP-Parteikongresse, Hintergrundgespräche mit Scharping). Ich war also in Frankfurt, als hunderte verfrorener Deutscher mit Ellenbogen und Knien um das so genannte Starter Kit kämpften - mit der Eleganz von Titanic-Passagieren, die ein leeres Rettungsboot entdeckt haben. Es war ein wirklich enttäuschender Anblick.

Wir Briten sind perplex. Haben die Deutschen vielleicht einen Drang, gerade das zu zerstören, was sie am meisten lieben? Können sie nationale Ikonen nicht länger als höchstens ein halbes Jahrhundert ertragen?Akzeptieren sie am Ende alles, was ihnen die Regierung lang genug anpreist?

Wir in Großbritannien müssen dieses Rätsel schnell lösen. Das Referendum über den Euro wird einen Subtext haben: Was für Leute sind die Deutschen? Schlicht gute Europäer, die bereit sind, Opfer zu erbringen, und das sollten wir auch tun - sagt Tony Blair, der die Pro-Euro-Kampagne anführt. Die Deutschen bleiben ein unlösbares Rätsel - argumentiert die Anti-Euro-Lobby. Welches selbstbewusste und rationale Volk würde freiwillig das Symbol seiner nationalen Macht und Souveränität zerstören?

Was mich anbelangt, ich werde den Euro boykottieren und in den nächsten 12 Jahren mit Chesterfields und Lucky Strike handeln. Bis dann wird nämlich, laut Professor Wilhelm Hänkel, die Europäische Währungsunion zusammengebrochen sein.

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