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Genscher

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Gastkommentar von Hans-Dietrich Genscher: Schwarz-Gelb? Das ist jetzt möglich

Die Europawahl weist auch in Richtung Bundestagswahl: Eine Mehrheit der Deutschen ist gegen Staatsinterventionismus.

Europa hat gewählt. Wirklich? War es eine europäische Wahl oder eine Addition von nationalen Wahlergebnissen? Beides ist richtig. Für uns in Deutschland ist das keine Überraschung, wir kennen als föderalistisches Land das Zusammenwirken des Bundestrends mit regionalen Entwicklungen bei Landtagswahlen. Ähnliches gilt auch für die Europawahl. Bei aller Vorsicht vor unzulässigen Vergleichen zeichnet sich doch die Tendenz zu einer Mehrheit aus CDU/CSU und FDP ab. Für die FDP setzt sich durch Berechenbarkeit und Stetigkeit der positive Grundtrend fort.

Die SPD hat offensichtlich nicht nur mit Stimmungseinwirkungen zu ringen, sondern mit strukturellen Problemen ihrer Aufstellung im Fünf-Parteien-System. Wie schon in den fünf größten Bundesländern, also in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Baden-Württemberg und Bayern zeichnet sich auch bundesweit eine Antwort ab auf die Frage, sind im Fünf-Parteien-System außer einer schwarz-roten Koalition auch noch andere Zwei-Parteien- Mehrheiten möglich. Konkret aus CDU/CSU und FDP. Das Wort „knappe Mehrheit“ sollte nicht täuschen. Alle großen Grundentscheidungen der deutschen Nachkriegspolitik sind mit knappsten Mehrheiten getroffen worden. Die Entscheidung für die soziale Marktwirtschaft, die Entscheidung für den Beitritt zum westlichen Bündnis der Nato, für die Ostverträge und für die KSZE, die den Weg zur deutschen Einheit öffneten, bezeugen das.

Was sagt uns die Europawahl? Was die geringe Wahlbeteiligung? Mehrere Gründe kommen zusammen. Offensichtlich wird von der Mehrheit der Bevölkerung ein Staatsinterventionismus nicht gewünscht. Das erklärt das Abschneiden der SPD, aber auch der Linken trotz geringen Zuwachses. Natürlich spielt auch eine Rolle, dass in Europa keine Regierung gewählt wird. Deutsche Wähler pflegen Regierungsmehrheiten zu wählen. Auch deshalb ist eine klare Position der CDU/CSU, mit wem sie die Mehrheit bilden will, unumgänglich. Bei der FDP ist das auch schon jetzt vor der Koalitionsaussage unmittelbar vor der Bundestagswahl hinreichend deutlich.

Gewiss wirkt sich auch aus, dass es im politischen Spektrum Neigungen gibt, für vermeintlich unpopuläre Entscheidungen, die Verantwortung nach Europa abzuschieben. Aber Europa, das sind wir alle. Unsere Abgeordneten, unsere Vertreter in der Kommission, unsere Regierungen entscheiden mit in Europa.

Bedeutsam ist ohne Zweifel die Rolle Europas bei der Gestaltung einer neuen Weltordnung. Diese ist im Entstehen begriffen und Europa darf sich dabei nicht in eine Zuschauerrolle begeben. Europa hat eine Botschaft. Wir haben aus der Geschichte gelernt, wir wissen, dass Dialog und Zusammenarbeit schwierigste Probleme überwinden und schließlich lösen können. Die Überwindung des Ost- West-Konflikts ist das eindrucksvolle Beispiel dafür. Die Entspannungspolitik, und hier vor allem der KSZE-Prozess, bezeugen, was europäisches Handeln möglich macht. Sie waren vornehmlich deutsche Initiativen. Die Schaffung der Europäischen Währungsunion zeigt, wie eine ganze Region sich im Prozess der Globalisierung positionieren kann.

Für alle diese Entwicklungen, wie auch für die Fortentwicklung der Europäischen Gemeinschaft zur Europäischen Union, waren deutsch-französische Initiativen, immer wieder unterstützt von den Gründungsmitgliedern Italien und den Benelux-Staaten, entscheidend.

Die deutsch-französische Rolle als Motor Europas wird in einer neuen interdependenten Weltordnung nur noch dringlicher. Man kann nicht sagen, dass die Wähler in den vergangenen Jahren mit eindrucksvollen europäischen Initiativen für die Gestaltung einer Neuen Weltordnung fasziniert worden seien. Dass solche Faszination möglich ist, zeigt der amerikanische Präsident Barack Obama. Will Europa sich nicht mit der Rolle des zurückhaltend applaudierenden Zuschauers bescheiden, muss es selbst zum kreativen Ideengeber werden. Es wird Zeit, dass das geschieht. Auch diese Frage steht am 27. September 2009 bei der Bundestagswahl mit zur Entscheidung.

Der Autor war von 1974 bis 1993 Bundesaußenminister.

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