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Hans-Dietrich Genscher

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Gastkommentar von Hans-Dietrich Genscher: Wir brauchen die „Neue FDP“

Das Profil der FDP muss geprägt werden durch neue Gesichter und ein klares liberales Konzept. Ein Gastbeitrag.

Die Landtagswahlen vom 27. März 2011 haben die politische Landschaft in Deutschland verändert. Das betrifft alle Parteien – die einen so, die anderen so. Die tiefgreifendste Konsequenz hat der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle gezogen, er kandidiert nicht wieder für den Vorsitz. Ein gewiss nicht leichter, aber honoriger Schritt. Das verdient Respekt, die Partei hat das mit dem Dank für seine Leistungen zum Ausdruck gebracht.

Nach kurzer, gründlich genutzter Bedenkzeit hat Philipp Rösler seinen Hut in den Ring geworfen, nur zwei Tage nach Westerwelles Erklärung. Rösler drängt sich nicht vor, aber er stellt sich seiner Verantwortung, und das in der schwersten strukturellen Krise der FDP seit ihrem Bestehen.

Ist das alles, fragen manche, so als hätte Rösler nicht selbst erklärt, dass das keineswegs alles ist. Die erste wichtige Entscheidung, die ihm allein zusteht, hat er sofort getroffen. Er wird Christian Lindner zur Wiederwahl als Generalsekretär der FDP vorschlagen. Lindner ist es gegeben, in die Fußstapfen von Karl Hermann Flach zu treten. Auch Rösler will die programmatische Erneuerung der FDP. Nicht erst jetzt. Frühzeitig hat er mit Christian Lindner und Daniel Bahr einen Zukunftsentwurf liberaler Politik vorgelegt.

Wer die Neue FDP wirklich will, wird von Rösler nicht verlangen, dass er binnen 48 Stunden ein neues Personaltableau aus dem Ärmel schüttelt. Zuallererst wird ein klares liberales Konzept erwartet, das Fortschritt in Kontinuität will. Und erst dann die Entscheidung über die Persönlichkeiten, die das umsetzen sollen. Nicht das Programm soll sich nach den Personen richten, sondern die Personen müssen glaubwürdig für die Ziele der Partei stehen. Auf Glaubwürdigkeit kommt es Rösler an – zu Recht. Da wird es manche in der FDP geben, die selbst zu dem Schluss kommen sollten: Es ist besser, das Profil der neuen FDP durch neue Gesichter prägen zu lassen. Das ist keineswegs nur eine Generationenfrage und gilt keineswegs für alle, die jetzt in der Verantwortung stehen.

Liberale Politik ist ein umfassender Anspruch für alle Lebensbereiche. Nischen- und Klientelpolitik entsprechen nicht liberalem Selbstverständnis und auch nicht Besitzstandsdenken, sondern Fortschritt als Ausdruck liberaler Zukunftsverantwortung. Die innere Liberalität des Landes verlangt den liberalen Rechtsstaat. Sein Schutz ist Aufgabe aller Liberalen und nicht nur eine Ressortfrage. Das liberale Gesellschaftsbild will den Wirtschaftsbürger, der selbstverantwortlich handeln kann. Marktwirtschaft und soziale Verantwortung gehören für Liberale untrennbar zueinander. Deshalb haben Liberale zusammen mit Ludwig Erhard die soziale Marktwirtschaft durchgesetzt.

Für Liberale ist der Schutz der Menschenwürde überall in der Welt unabdingbar. Das schließt den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit ein. Es ist deshalb kein Wunder, dass das erste Umweltprogramm in der Bundesrepublik 1971 ein liberales war. Artikel 1 des Grundgesetzes verlangt den Schutz der Würde des Menschen, jedes Menschen. Das schließt Ausgrenzung aus. Für den Kulturstaat Bundesrepublik Deutschland gilt Offenheit und nicht Ab- oder Ausgrenzung. Was heißt da Leitkultur?

Die liberale Forderung nach gleichen Lebenschancen verlangt eine entsprechende Bildungspolitik, die es bisher nicht gibt. Für Liberale bedeutet Lebenschance auch Leistungschance. Sie ist Voraussetzung für die Solidarität, die eine Gesellschaft im Inneren zusammenhält. Solidarität sichert auch den inneren Zusammenhalt der EU gegen neuen Nationalegoismus. Liberale Ordnungspolitik sichert die Stabilität des Euro.

Solidarität ist von der westlichen Wertegemeinschaft verlangt, wenn alle Nationen und Regionen ihren ebenbürtigen Platz in der neuen Weltnachbarschaftsordnung einnehmen wollen. Sie kann den Frieden nur dann sichern, wenn sie als globale Kooperationsordnung ohne altes Vorherrschaftsdenken verstanden wird.

Der Autor war von 1974 bis 1992 Außenminister.

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