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Gastkommentar: Warum die Deutschen keine ernste Debatte zum Krieg führen

Deutschland ist dabei, sich dem Thema Krieg umfassend zu entfremden, es entwickelt auf diesem Gebiet eine Art Analphabetismus. Nicht zu verwechseln mit: Pazifismus.

Fast fünfzig Jahre lang, von 1945 bis 1990, hatte das Wort „Krieg“ für Deutsche überhaupt keinen Gegenwartswert: Krieg war ein Begriff von gestern, eine bittere Frage an die deutsche Vergangenheit. Erst mit der Deutschen Einheit tauchte das Thema dann wieder auf, wurde brennend aktuell. Eine Phase der Verwirrung kam und dauerte von 1991 bis 1998, vom ersten Irak-Krieg bis zu dem Entschluss, sich am Krieg gegen Slobodan Milosevic zu beteiligen. Dann eine Phase der Verantwortung und, wenn man so will, die beste Zeit der deutschen Debatten um gegenwärtige Kriege.

Sie begann 1998 mit dem Entschluss der scheidenden schwarz-gelben Koalition, sich in der Kosovo-Frage mit allen denkbaren militärischen Konsequenzen an die Seite des westlichen Bündnisses zu stellen. Das setzte sich fort in den existenziellen Diskussionen der Grünen und dem Beschluss der frisch gekürten rot-grünen Koalition, sich an der Intervention auf dem Balkan zu beteiligen. Der 11. September 2001 stellte dieselbe Regierung vor eine Herausforderung ganz anderer Natur: Doch über den Afghanistan-Einsatz wurde abermals mit großem Ernst gestritten.

Zur Phase der Verantwortung müssen auch noch die Auseinandersetzungen um eine mögliche Beteiligung am Irak-Krieg gerechnet werden sowie Gerhard Schröders Nein, jedenfalls sein erstes, im Jahr 2002 vor dem Bundestag geäußertes Nein in dieser Sache. Sein zweites Nein, gerufen im Theater von Goslar im Dienst des niedersächsischen Landtagswahlkampfes, markiert dann schon den Beginn einer weiteren Phase, nennen wir sie: die Phase der Verlotterung. Sie dauert bis heute an, und man könnte sagen: Es wird immer schlimmer.

Die Regierungen, seien es schwarz-rote oder schwarz-gelbe, versuchen seit Jahren, jede Diskussion über Krieg und Frieden, insbesondere jeden ernst zu nehmenden Streit über den Afghanistan-Einsatz zu verhindern, und was die führenden Politiker seit geraumer Zeit überhaupt noch dazu sagen, soll augenscheinlich vor allem keinen Anstoß erwecken und keine schlafenden Mehrheiten (gegen den Einsatz) wecken. Wenn überhaupt, wird über den Termin des Abzugs gesprochen und über die Frage, ob man den Krieg am Hindukusch nun einen Krieg nennen soll oder lieber nicht.

Auf welchem Niveau sich die deutsche Kriegsdebatte heute befindet, zeigt sich wegen des Schweige- oder Murmelkartells der Regierungen immer mal wieder anhand von Vorstößen aus der zweiten Reihe der Politik.

Auf diese Weise hat Margot Käßmann, die damalige EKD-Vorsitzende, 2010 mit einer Neujahrspredigt eine erregte Debatte ausgelöst. Sie sagte: „Nichts ist gut in Afghanistan. All diese Strategien, sie haben uns lange darüber hinweggetäuscht, dass Soldaten nun einmal Waffen benutzen und eben auch Zivilisten getötet werden. Wir brauchen Menschen, die nicht erschrecken vor der Logik des Krieges, sondern ein klares Friedenszeugnis in der Welt abgeben, gegen Gewalt und Krieg aufbegehren.“

Natürlich ist der Satz „Nichts ist gut in Afghanistan“ fast so unsinnig wie der Satz „Alles ist gut in Afghanistan“; wenn er dennoch eine Diskussion auslösen konnte, so hing das in erster Linie damit zusammen, dass sonst niemand von Rang und Glaubwürdigkeit auf das allgemein steigende Unbehagen an diesem Krieg antwortete. Und in der Tat: Es ist nicht leicht zu erklären, warum der Krieg in Afghanistan am Anfang legitim war, dann aber in wachsendem Maße nicht mehr, warum man sich trotzdem nicht einfach daraus verabschieden kann, zum einen aus Solidarität mit dem Bündnis, zum anderen aufgrund der Verantwortung, die man mit dem Kriegseintritt gegenüber den Afghanen übernommen hat. Nur weil die regierende Politik sich dieser Mühe nicht wirklich unterzog und unterzieht, konnte die moralisierende Politik von Margot Käßmann ein solcher Publikumserfolg werden. (…)

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In die Phase der Verlotterung gehört ohne Frage auch die Art und Weise, wie die schwarz-gelbe Koalition in die Abschaffung der Wehrpflicht gestolpert ist. Angestanden hätte das Thema schon länger: zum einen, weil die Wehrgerechtigkeit seit vielen Jahren grotesk verletzt worden ist, da von jedem Jahrgang nur noch eine Minderheit eingezogen wurde; zum anderen, weil eine weltweit agierende Armee hochspezialisierte Profis braucht und keine schnell angelernten Wehrpflichtigen.

Beides drängte, doch keines der beiden Motive führte zur Reform. Die wurde vielmehr erst durch den Sparzwang angestoßen, also genau durch den falschen Impuls. (...) So also lautet die aktuelle Anamnese zum Thema „Die Deutschen und der Krieg“: Seit acht Jahren gibt es keine ernst zu nehmende Debatte mehr. Die konservative Partei fühlt sich nicht mehr zuständig, die Regierung auch nicht, die Kanzlerin fällt strategische Entscheidungen ohne strategische Diskussionen, das Bündnis verpflichtet nicht mehr, das Grundgesetz wurde nie geändert und lässt uns daher im Stich, das Völkerrecht setzt keine klaren Grenzen, die Bundeswehr findet im Alltag nicht statt, ihr Etat wird gekürzt, und die schwarz-gelbe Koalition produziert innerhalb von nur zwei Jahren drei Verteidigungsminister.

Wenn die derzeit herrschende deutsche Doktrin offen ausgesprochen würde, so müsste sie heißen: Lasst uns mit dem Thema Krieg gefälligst in Ruhe, und zwar so, dass wir nicht mal merken, dass wir damit in Ruhe gelassen werden!

Alles in allem: Deutschland ist dabei, sich dem Thema Krieg umfassend zu entfremden, es entwickelt auf diesem Gebiet eine Art Analphabetismus. Nicht zu verwechseln mit: Pazifismus. Ein Land von der Größe und Macht Deutschlands, ein Land mit einer Geschichte wie der deutschen kann nicht pazifistisch sein, so groß die Kriegsfremdheit auch noch werden mag.

Insofern passte es ins Bild, dass die Bundesregierung wenige Wochen nach ihrem Nein zum Libyen-Einsatz dennoch die Lieferung von 200 Leopard-Panzern an Saudi-Arabien genehmigte – natürlich im Geheimen. Und als die Sache dann doch öffentlich wurde, wurde eine inhaltliche Debatte auch hier verweigert. Dabei hätte man gern gewusst, ob die Entscheidung als Signal an die arabische Rebellion gedacht war, besser nicht auf die Deutschen zu setzen, weil man in Deutschland nun einmal lieber diktatorische Regime stabilisiert. Man hätte auch gern erfahren, ob die Regierung ihre Kampfflugzeuge und deren Reichweite bei dieser Sache im Kopf hatte, denn erfahrungsgemäß muss man irgendwann die Waffen selbst wieder zerstören, die man in eine Krisenregion geliefert hat.

Doch diese und andere Fragen wurden nicht beantwortet. Stattdessen setzte die Bundeskanzlerin ein weiteres Zeichen, als sie kurz nach dem Panzer-Deal bekannt gab, auch die angolanische Regierung würde künftig mit deutschen Waffen unterstützt.

Sieht so das schöne neue Deutschland aus? Unsere Soldaten schicken wir möglichst nirgends mehr hin, unsere Waffen möglichst überallhin! Der Mehrheit den Pazifismus, der Rüstungsindustrie den Profit! Und doch: So wird es nicht ewig weitergehen. In dieser Bigotterie, in diesem Gemurmel wird das Land nicht lange verweilen, die Umstände werden das nicht zulassen. Vielleicht wird es der neue Verteidigungsminister Thomas de Maizière sein, der die Debatte aufbricht, oder die Kanzlerin wird sich unter dem Druck eines neuen Koalitionspartners besinnen und zu neuer Klarheit finden, oder die Medien, unzufrieden mit der Non-Debatte, werden Anstöße geben, die aufgegriffen werden, oder die europäischen Nachbarn werden sich rühren. Womöglich auch die Migranten. Jedenfalls ist, was wir zurzeit erleben, auch nur eine Phase. Und je schneller sie vorübergeht, desto besser.

Der Autor ist Stellvertretender Chefredakteur der „Zeit“. Der Text ist ein Vorabdruck aus seinem neuen Buch, das in dieser Woche erscheint („Wofür Deutschland Krieg führen darf. Und muss. Eine Streitschrift“ - Rowohlt-Verlag, Reinbek 2011, 192 Seiten, 14,95 Euro).

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