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Bild dir deine Meinung.

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Gastkommentar: Wulff dir deine Meinung

Ob im Netz, TV oder auf dem Papier: Die Liste an Wulff-Witzen wird sekündlich länger. Selbst erfahrene Journalisten müssen sich beherrschen, damit ihre Berichterstattung objektiv bleibt. Über das "Prinzip Bild".

Man muss in diesen Tagen sehr stark sein. Nicht nur als Bürger, der sich seine Meinung bilden will. Auch erfahrene Journalisten müssen sich am Riemen reißen, um in der Causa Wulff noch objektiv berichten zu können. Ulrich Deppendorf und Bettina Schausten konnten sich aktuell als einzige ein näheres Bild machen. Durften sie beide den Bundespräsidenten für ARD und ZDF exklusiv interviewen. Viel hat der Bürger nicht erfahren. Ein Lacher für viele sicherlich die Tatsache, dass Bettina Schausten gerne 150 Euro bezahlt, wenn sie bei Freunden privat übernachtet.

Der Fall Wulff wird mehr und mehr zu einer Art Comedy-Veranstaltung, am Ende hat sie der Bundespräsident durch seine eigene Interpretation des Krisenmanagements selbst zu verantworten. Hat er? Nicht ganz! Vielleicht ist es unbestritten, dass er in der Kreditaffaire unglücklich gehandelt hat. Der Anruf bei Bild Chefredakteur Kai Diekmann war zu diesem Zeitpunkt nicht die beste Entscheidung. Zumal es scheinbar nicht bei diesem Anruf blieb. Christian Wulff sind die Lampen durchgebrannt, er muss sich wie ein angeschossenes Wildschwein gefühlt haben, getrieben durch die Medienjäger. Wie er im Interview bei ARD und ZDF selbst sagte, fühlte er sich als Opfer.

Um Klarheit zu schaffen: es ist nicht ungewöhnlich, dass Politiker die Handynummer von Chefredakteuren haben und umgekehrt. Es wäre blauäugig zu glauben, dass man nicht miteinander sprechen würde. Ordentlicher Weise lässt man sich als Journalist nicht drohen, es gehört jedoch auch zum nötigen Respekt, dass man  - so man den Politiker zitiert – nachfragt, was man zitieren kann. Die Frage, die man sich spätestens heute stellen muss: warum gelangt ein Anruf des Bundespräsidenten beim Chefredakteur der Bild in die Öffentlichkeit?  Man hatte wohl den Anruf angeblich in der Redaktion der Bildzeitung zum Thema gemacht, dann aber beschlossen, diesen nicht öffentlich zu machen. Klar ist aber auch, dass Informationen über den Inhalt des Anrufes doch an FAZ, Süddeutsche Zeitung und Spiegel weitergegeben wurden. Und wer mag hier länger an einen Zufall glauben?

Seit langer Zeit ärgert Bild, dass sie zwar als Boulevardzeitung wahrgenommen wird, jedoch in der Akzeptanz weit hinter anderen Blättern zurückliegt, wenn es um Politkompetenz geht. Die Causa Wulff ist eine sehr gute Vorlage, um hier Kompetenzpunkte zu sammeln. Frei nach dem Motto „seht her, es ist Bild, die der Bundespräsident anruft, es sind nicht die anderen“ tut eine solche Anruf-Affaire natürlich gut. In Sachen Marketing ist Bild hervorragend aufgestellt. Alleine rund um die Zeitung wird für den Verlag ein enormer Mehrwert durch Marketing und Verkaufsaktionen generiert. Zusammen mit der Internet-Tochter Bild Online werden Konsumgüter wie etwa Computer, Geschirrspüler oder Fahrräder vermarktet, die zusammen mit den Bildpartnern wie Mediamarkt dann als Volks-PC, Volksspüler oder Volksfahrrad vertrieben werden. Die Ära Diekmann ist also somit eine gigantische Vermarktungsmaschine.

Die Bild wurde sogar bereits mit dem Deutschen Marketingpreis ausgezeichnet. Auch Spitzenpolitiker werden von ihren Beratern und der Bild in Gemeinschaftsarbeit wie eine Marke geführt. Was daran problematisch erscheint, weiß Medienanwalt Michael Philippi, lange in der Medienkanzlei Prinz in Hamburg, heute in der Kanzlei Bub, Gauweiler und Partner in München tätig: „Politik und Markenimage sind – jedenfalls im Bereich der Boulevardmedien – oft schwer miteinander vereinbar. Dort erfordert personales Marketing nicht primär Persönlichkeit, sondern die Offenbarung von Persönlichem. In der Politik aber – zumal wenn es um den höchsten Repräsentanten der Bundesrepublik geht – sollte Unabhängigkeit und Gradlinigkeit im Vordergrund stehen. Dies kann schnell zu nicht überbrückbaren Widersprüchen führen.“

Wer mit der Bild im Aufzug nach oben fährt, fährt mit ihr auch wieder nach unten.

Die Marketingkompetenz der Bild Zeitung lässt sich immer wieder auch problemlos nicht nur für den Volkscomputer nutzen, sondern eben auch für Politiker. Dass Medien nur durch Marketingstricks aus einem Nobody ohne Haltung und Botschaften über Nacht einen Polit-Star machen können, hat Bild oft genug bewiesen. Vor einigen Jahren tauchte zunächst der durch seine harten Urteile auffällig gewordene Hamburger Amtsrichter Ronald Schill als Richter Gnadenlos auf.

Als Schill plötzlich politisch hoch hinaus wollte, wurde er durch Bild systematisch aufgebaut in Form von wohlwollender Berichterstattung. Mit genug Bild-Power schaffte Schill aus dem Stand 20% der Wählerstimmen, und das nach 45 Jahren SPD Herrschaft an der Alster. Als „Richter Gnadenlos“ positionierte Schill übrigens damals Mathias Döpfner. Er ist heute Vorstandsvorsitzender und Zeitungsvorstand der Axel Springer AG, und somit der direkte Vorgesetze von Kai Diekmann. Beide wurden von Christian Wulff angerufen, der scheinbar erkannte, sich doch etwas zu abhängig von den beiden Marketingexperten gemacht zu haben. Auch der Bundespräsident wurde durch Bild marketingstrategisch aufgebaut, und solange er ein williger Markenbotenschafter war, bekam er die Unterstützung, die sein wenig vorhandenes Profil vertragen konnte. Jedoch unterschätze Wulff die gefährliche Eigendynamik, die sich nun entwickelte.

Wulff intervenierte auch bei Springer-Chef Döpfner.
Wulff intervenierte auch bei Springer-Chef Döpfner.

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Damit ist Wulff sicher kein Einzelfall. Diese, nennen wir es Markenstrategie, hat durchaus System, wie Rechtsanwalt Michael Philippi weiss: „Mediale Vermarktung von Politik ist inzwischen mehr Regel, als Ausnahme. Hier werden auch von Beratern oft Gefahren und Grenzen übersehen: Verkannt wird vor allem, dass hierdurch im schlimmsten Falle auch die rechtliche Gegenwehr zum Schutz des Privatlebens verloren gehen kann. Wer sich einmal auf den Boulevard eingelassen hat, also den Blick durch die Tür des Privaten erlaubt, kann diese später kaum noch zuschlagen. Das ist eine Erfahrung, die viele Prominente aus Politik und Gesellschaft immer wieder machen. Auch Solche, die im Laufe ihrer Karriere eigentlich genügend Medienerfahrung erworben haben sollten, nicht der Verlockung dieser Marketingmaschinerie zu erliegen.

Noch im Jahr 2011 veröffentlichten die Wissenschaftler Hans-Jürgen Arlt und der Journalist Wolfgang Storz für die Otto-Brenner-Stiftung die Studie „Drucksache Bild – Eine Marke und ihre Mägde“. Die Otto-Brenner-Stiftung ist die gemeinnützige Stiftung der IG Metall. Arlt und Storz bringen es recht deutlich auf den Punkt: Bild sei gar keine richtige Zeitung, sondern inszeniere sich nur so, um Geschäfte machen zu können. Bild sei mit seiner „Marketing- und Verkaufsmaschine“ zu „einem der großen Einzelhändler Deutschlands geworden“.

Für die Vermarktung zahlt nach ihrer Studie jedes Unternehmen, je nach so genannter Medialeistung, zwischen 0.6 und 1,2 Millionen Euro, und der Verkauf soll mittlerweile bei deutlich über 25 Millionen Produkten liegen. Wenn Bild somit vor allem ein Geschäftsmodell ist, darf man nicht verwundert sein, wenn auch die Marke Wulff so lange beworben wird, wie sie gute Geschäfte bringt.

Oder um es mit den Worten des Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner zu sagen, der schon 2006 das „Prinzip Bild“ so beschrieb: „Wer mit ihr im Aufzug nach oben fährt, der fährt auch mit ihr im Aufzug nach unten“. Medienanwalt Michael Philippi interpretiert diese Aussage auf seine Weise: „Man weiß nicht, ob eine Einbahnstraße den Berg hinauf an dessen Kuppe endet“.

Mike Kleiß arbeitete bei RTL Radio und RPR1, SWR3 und war stellvertretender Programmchef bei den MDR-Radiosendern "Jump" und "Sputnik". Er ist als Dozent an Medienakademien tätig. Er gilt als Medien- und Markenexperte. Sein Hauptgeschäft ist die Kommunikationsagentur "Medienhafen Köln".

Mike Kleiß

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