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Meinung: Gastkommentar: Wunderfräuleins - Töchter von Grass?

Bitten Sie mal einen Franzosen, vier junge zeitgenössische deutsche Romanciers zu nennen. Wenn Sie viel Glück haben, kriegen Sie eine Antwort: Günter Grass, Ernst Jünger, Peter Handke, Thomas Bernhard.

Bitten Sie mal einen Franzosen, vier junge zeitgenössische deutsche Romanciers zu nennen. Wenn Sie viel Glück haben, kriegen Sie eine Antwort: Günter Grass, Ernst Jünger, Peter Handke, Thomas Bernhard. Wir wollen mal drüber hinwegsehen, dass zwei davon Österreicher sind. Ebenso, dass zwei bereits gestorben sind (einer im Alter von über hundert Jahren) und die beiden Lebenden die 50 bereits weit überschritten haben.

Der kleine Test illustriert eine traurige Realität, die der gestern eröffnete "Salon du livre" in Paris, der Deutschland gewidmet ist, korrigieren möchte. Wer den Aufruf der Organisatoren liest, könnte den Eindruck gewinnen, ganz Frankreich sei bereit, sich auf die "Fräuleinwunder" und die anderen "enfants de Günter Grass" zu stürzen. Reine Augenwischerei, wenn man auf die nüchternen Zahlen blickt. Französisch findet sich erst an achter Stelle der Liste der Sprachen, in die deutsche Bücher übersetzt werden - noch hinter Chinesisch, Tschechisch und Polnisch. Die amerikanische Literatur gilt als chic, als verführerisch, der deutsche Roman ist nicht mehr in Mode. Und wenn doch einmal einer die Chance hat, übersetzt zu werden, begnügen sich die deutschen Autoren in der Regel damit, einen "Achtungserfolg" zu erringen, wie die Verlage das höflich nennen.

Die einzige Ausnahme von dieser bitteren Regel bildete in jüngerer Zeit "Der Vorleser" von Bernhard Schlink: Er hielt sich monatelang auf der Bestsellerliste. Eine Ausnahme, die die Regel bestätigt. Das Thema: eine "éducation sentimentale", eine Erziehung des Herzens vor dem Hintergrund des Dritten Reiches. Sind das nicht die obligatorischen Zutaten, um den Erfolg eines deutschen Romans im Ausland zu garantieren. Die Franzosen erwarten von Deutschland düstere Bücher, tief schürfende Gedanken, endlose Abschweifungen über existenzialistische Fragen, besessen vom Wunsch, "la catastrophe" zu analysieren. Wir haben uns bequem mit diesem Klischee eingerichtet. Warum sich anstrengen, um es auszurotten?

Man kann träumen: Dass dieser Buchsalon in Paris als ein auf die andere Rheinseite geöffnetes Fenster den Franzosen Appetit macht, zu lesen, was heutzutage in Frankfurt, in Berlin geschrieben wird. Das neue Deutschland in seiner neuen Realität hat doch das Recht, über sich selbst zu erzählen.

Und wie verhält es sich umgekehrt? Die Zahlen sprechen für sich: Französisch hat einen sicheren zweiten Platz, wenn auch weit hinter dem Englischen: 9,7 Prozent der aus Fremdsprachen ins Deutsche übersetzten Bücher, aus dem Englischen kommen 70,2 Prozent. Und auch hier gab es im Jahr 2000 ein atypisches Phänomen: Michel Houellebecq ist zu Bernard-Henri Lévy, Pierre Bourdieu, André Glucksmann und einigen anderen aus dem Kreis der in Deutschland so verehrten französischen Avantgardisten gestoßen. Sie verkörpern in deutschen Augen eine Nation, in der sich die Intellektuellen noch in die öffentliche Debatte einmischen. Jedem seine Illusionen!

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