zum Hauptinhalt

Meinung: Gebt, so wird euch gegeben

In der Krise brauchen wir keine Ich-AGs – sondern mehr Wir-AGs Von Florian Langenscheidt

Im Ausland gilt Deutschland als der kranke Mann Europas. In einer gemeinsamen Reihe von Tagesspiegel und DeutschlandRadio Berlin suchen prominente Autorinnen und Autoren nach Wegen aus der Krise.

Wir brauchen uns nicht das Selbstverständliche zu bestätigen. Natürlich kann Wohlstand nur entstehen durch Wettbewerb, Leistungswille, Ehrgeiz und eine gesunde Portion Egoismus. Selbstverständlich ist der Kapitalismus das einzige System, das uns weiterbringt. Und zweifellos trägt er raubtierhafte Elemente des Kampfes aller gegen alle in sich – und braucht diese zum Erringen des Fortschritts.

Aber er muss beseelt werden durch Menschlichkeit, Wärme, Spontaneität und Leidenschaft. Sonst ist er wie der deutsche Fußball: oft erfolgreich und effizient, aber irgendwie ungeliebt. Dem Menschen an sich ist die Mit-mir-nicht-Mentalität einer erkalteteten Gesellschaft fremd. An seine eigene Schulter kann man sich nicht lehnen.

Wir wissen aus der Wirtschaft, dass wir im Team immer besser sind – und dass Teamarbeit zugleich bedeutet, sich oft mühsam auf andere einzustellen und sie im Prozess zu halten. Wir wissen aus Sport und Medienbetrieb, dass Mannschaftssportarten auf die Dauer spannender und erfolgreicher sind als der Kampf Einzelner.

Wir wissen aus der Evolutionsforschung, dass der Natur das Individuum unwichtig ist – und nur die Erhaltung der Art zählt. Wir wissen aus der Psychologie, dass der Weg zum persönlichen Glück immer über den Umweg des Glücks anderer führt – oder anders gesagt, dass das Engagement für Familie, Freunde und Dritte paradoxerweise glücklicher macht als sich immer nur um das eigene Fortkommen zu kümmern.

All das bedeutet, dass die Ich-AG langfristig in den Konkurs treibt angesichts der Stärke der Wir-AG. Dies zu erkennen, ist eine Frage der Reife und Menschenkenntnis.

Der amerikanische Regisseur Steven Spielberg antwortete kürzlich auf die Frage, worauf er am stolzesten sei: zuallererst auf seine Familie und an zweiter Stelle auf die Shoah-Foundation, in der er die Geschichten der noch lebenden Zeitzeugen des Naziterrors aufnehmen lässt, um alle künftigen Generationen zu warnen vor den Folgen von Intoleranz und Rassismus. Erst weit danach kämen seine Filme.

Wir brauchen einander in einem ganz existenziellen Sinne – und nicht nur in der freundschaftlichen Verbindung, in der Schulklasse, im Team, in Liebe und Leidenschaft oder zur Reproduktion. Wir brauchen den Pakt zwischen den Eltern, die ihren Kindern durch Erziehung und Liebe ein Trampolin ins Leben bauen, und der nächsten Generation, die sich später fürsorglich um die alt gewordenen Eltern kümmert.

Wir brauchen trotz aller Privatisierungstendenzen in der Altersvorsorge den Pakt zwischen den Generationen, das heißt den Arbeitenden und den Ruheständlern. Wir brauchen zu Frieden und Stabilität in einer zusammengewachsenen Welt gemeinsame Anstrengungen zur Sicherung des Notwendigsten für die Armen der Armen, sonst werden wir viele weitere blutige Verteilungskämpfe und neue Mordaufnahmen im Internet erleben. Wir brauchen nach Wegfall von Wehrpflicht und Zivildienst ein soziales Pflichtjahr – und zwar nicht nur den Kranken, Alten, Behinderten und Schwachen zuliebe. Sondern auch, weil die Erfahrung des Helfens unabdingbar ist für die Entwicklung zu einer reifen und charakterstarken Persönlichkeit.

In der Bibel steht: „Gebt, so wird euch gegeben“ (Lukas 6,38). Selbstlosigkeit und Egoismus gehören danach zusammen. Wenn aber laut Thomas Hobbes der Mensch dem Menschen ein Wolf ist, wie können wir dann erklären, dass Menschen hilfsbereit miteinander umgehen, sich gegenseitig schützen? Weil wir nur so bessere Zukunftschancen haben. Auch in der Wirtschaft.

Konsumenten und Geschäftspartner achten Unternehmer, die Gutes tun, noch mehr. Über 42 Prozent der Deutschen kaufen lieber bei Unternehmen, die sich im Sozialbereich engagieren. Und die Mitarbeiter sind noch stolzer darauf, bei einer solchen Firma zu arbeiten.

Und bei alldem geht es immer auch um Eigeninteresse, der Triebfeder hinter Kapitalismus und Marktwirtschaft. Ich selbst kann in meinem Leben nur dann glücklich und erfolgreich sein, wenn ich es nicht allein auf die Befriedigung meiner Interessen hin lebe, sondern mindestens gleichwertig auf das der Mitmenschen hin. Von daher muss kein Pfarrer auf die Belohnung im Jenseits verweisen. Wir erhalten sie hier und heute durch die immense Befriedigung, aus dem begrenzten eigenen Kosmos zu treten und das Ganze ins Visier zu nehmen. Es ist ähnlich paradox wie beim Einschlafen: Je direkter ich es versuche, desto mehr werde ich dabei scheitern.

Der Autor ist Gesellschafter der Langenscheidt Verlagsgruppe und Publizist. Zu hören ist dieser Beitrag am Sonntag um 12 Uhr 10 auf UKW 89,6.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false