zum Hauptinhalt

Meinung: Gefährdete Jugend

RECHTSWEGE Bei dem Versuch, Wege zu dem zu finden, was rechtens und vielleicht auch gerecht wäre, gibt es kein Thema, das so ergiebig ist wie die „Jugendkriminalität". Die ist ein hochpolitisches Thema, denn sie lässt Kritik, Vorwürfe und sogar Schuldzuweisungen zu – so, wie es gekommen ist mit ihr, hätte es nicht kommen dürfen, nicht kommen müssen.

RECHTSWEGE

Bei dem Versuch, Wege zu dem zu finden, was rechtens und vielleicht auch gerecht wäre, gibt es kein Thema, das so ergiebig ist wie die „Jugendkriminalität". Die ist ein hochpolitisches Thema, denn sie lässt Kritik, Vorwürfe und sogar Schuldzuweisungen zu – so, wie es gekommen ist mit ihr, hätte es nicht kommen dürfen, nicht kommen müssen. Da lässt sich also fröhlich polemisieren.

Der Gedanke, das junge Menschen nicht aus eigenem, bösen Antrieb, auf einen gefährdeten, gefährlichen Weg geraten sein könnten, ist erst spät aufgekommen. Etwa in England sind bis ins 19. Jahrhundert hinein für banale Kinderstreiche Jugendliche gehängt worden. Und in den Vereinigten Staaten ist noch dieser Tage ein Mensch, der mit 17 strafbar wurde, mit 27 an der Vollstreckung der Todesstrafe vorbeigekommen – einer psychischen Störung wegen wohlgemerkt, nicht etwa wegen seines Alters zur Tatzeit.

Hartnäckig hält sich das Bild des „geborenen Verbrechers". Jubelschreie ertönten, als sich bei einem Mann, der mehrere Krankenschwestern getötet hatte, eine besondere Veranlagung zu finden schien. Doch man hatte sich geirrt. Einziges Einlenken dieser Tage: Menschen, die zur Tatzeit psychisch gestört waren, sollen nicht mehr hingerichtet werden.

Vielleicht wird in Zukunft auch eine Rolle spielen, dass man nach einer Entscheidung des Supreme Court, dem höchsten Gericht der Vereinigten Staaten, als Geschworener nicht nur über schuldig oder unschuldig zu entscheiden hat – sondern auch darüber befinden muss, ob über einen für schuldig Befundenen die Todesstrafe zu verhängen ist. Es macht schon einen Unterschied, ob man selbst für eine Hinrichtung stimmt – oder ob das, so bisher, dem Richter überlassen bleibt.

Doch eine Sicherung dagegen, dass nicht Menschen hingerichtet werden, die zur Tatzeit noch keine 14 Jahre alt waren, gibt es in den für die Bundesstaaten verbindlichen Bundesregelungen und den Regelungen der Bundesstaaten nicht. Das Wort des Dichters und Nobelpreisträgers Albert Camus, nach dem die einzige Solidarität der Menschen die gegenüber dem Tode ist – nun ja, ein Dichterwort.

In der Bundesrepublik ist die Todesstrafe abgeschafft. Doch verschweigen wir nicht, dass es Bemühungen gibt, die Möglichkeit, 18- bis 21jährige, die als Heranwachsende nach dem Jugendstrafrecht verurteilt werden können, um diese Möglichkeit zu bringen. Die Neigung, jungen Menschen als Schuld zuzurechnen, was ihnen von der Kindheit an auf dem Weg zum Erwachsensein zugefügt wurde, ist groß.

Jutta Limbach, die eine hochverdiente Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts gewesen ist, hat dieser Tage ausgeführt, dass vor allem junge Menschen Terroristen werden, denen soziale Anerkennung versagt wurde und die Demütigungen erfuhren. Sie fragte, warum es in Ostdeutschland mehr neonazistische Übergriffe gebe als im Westen und beantwortete diese Frage selbst: „Weil sie sich deklassiert fühlen." Die Gewaltbereitschaft erwachse aus erlebter Kränkung – nicht aus purer Not.

Gerhard Mauz ist Autor des „Spiegel“. Foto: Dirk Reinartz

NAME

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false