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Meinung: Gefahr durch Integration

Die Außenpolitik kann gewaltigen Zugzwang auf Regierungen ausüben - SPD und Grüne erleben es gerade. Das hilft vielleicht, einen Vorgang zu verstehen, der von ähnlicher Tragweite ist wie der Kampf gegen den Terror, auch wenn er seit dem 11.

Die Außenpolitik kann gewaltigen Zugzwang auf Regierungen ausüben - SPD und Grüne erleben es gerade. Das hilft vielleicht, einen Vorgang zu verstehen, der von ähnlicher Tragweite ist wie der Kampf gegen den Terror, auch wenn er seit dem 11. September in den Hintergrund gerückt ist: die Erweiterung der Europäischen Union. Die EU-Erweiterung setzt einzelne Regierungen unter den zwölf Beitrittskandidaten unter erheblichen Druck, vor allem aber den 13. Aspiranten, die in eine Beitrittspartnerschaft eingebundene Türkei. In manchen Fällen ist dieser Druck heilsam. Das gilt beispielsweise für Polen. Im Fall der Türkei droht die EU-Erweiterung dagegen zur Zerreißprobe zu werden wie die Bundeswehr-Entsendung für Rot-Grün.

EU-Kommissar Günter Verheugen lässt sich nicht beirren und hält an einem ehrgeizigen Fahrplan für die Erweiterung fest, der vor allem angesichts der Defizite in den Verwaltungsapparaten vieler osteuropäischer Beitrittskandidaten Fragen aufwirft. Bis zum Jahr 2004 sollen Zypern, Malta, Polen, Tschechien und all die anderen, die sich bei der abschließenden Bewertung in einem Jahr qualifizieren werden, Mitglied sein. Manchen Bedenkenträgern mag das zu schnell gehen. Aber letztlich ist die EU-Erweiterung ein Prozess, der sich im politischen Raum entscheidet. Wer das enge Zeitfenster nicht nutzt, verpasst auch eine Chance für Europa.

Nichts soll mehr den Erweiterungsprozess gefährden dürfen - auch nicht die Diskussion, ob die EU-Agrarpolitik im heutigen Stil auch noch für eine Europäische Union mit 25 Mitgliedern taugt. Und noch eine goldene Brücke hat Verheugen den Erweiterungskandidaten gebaut: Die maximal zehn Kandidaten, die ab 2004 dabei sein könnten, sollen im Paket in die EU aufgenommen werden. Andernfalls könnte wieder die Stunde der Blockierer schlagen, die Einzelentscheidungen über jedes Land nutzen, um das gesamte Vorhaben aufzuhalten. Wer wollte ausschließen, dass zum Beispiel Österreich ein Veto gegen Tschechien wegen des Atomkernkraftwerks Temelin einlegt?

Spätestens seit dem Göteborger EU-Gipfel im Juni 2000 ist klar, dass die amtierende EU-Kommission unter Romano Prodi ihr Werk mit der Erweiterung krönen möchte. Der Druck, der vom Datum 2004 ausgeht, ist enorm. Die politische Zerreißprobe zwischen Europhobie und Beitrittswunsch, der Polens Ministerpräsident Leszek Miller ausgesetzt ist, dürfte sich dabei in Grenzen halten. Gerade die Tatsache, dass in Polen jetzt die euro-skeptische Bauernpartei mitregiert, wird dem Beitrittsprozess dort am Ende eher größere Legitimität verleihen.

Dagegen führt Verheugens klarer Erweiterungs-Kurs zur Konfrontation mit Ankara. Die türkische Regierung muss nun mit der Aussicht leben, dass Zypern in jedem Fall zu den ersten Beitrittsländern gehört. Die Drohung Ankaras, dann den türkisch besetzten Norden der Insel zu annektieren, zeigt das ganze Ausmaß des Zerwürfnisses. Die türkische Regierung sammelt beim internationalen Kampf gegen den Terror gerade Kapital. Es wird ihr wenig nützen, wenn sie es beim Poker mit der EU wieder verspielt.

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