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Meinung: Gegen die Missionare der Demokratie Immer mehr Republikaner begehren gegen Bushs Außenpolitik auf

Von Jacob Heilbrunn

POSITIONEN

Wer hat diese scharfe Kritik an Bushs Außenpolitik abgeliefert? „Sich neue Lasten aufzubürden, indem man neue Befreiungskriege führt, ist das Letzte, was die Vereinigten Staaten brauchen“, schrieb ein Bushkritiker in einer der letzten Ausgaben der Zeitschrift „Foreign Affairs“. „Das Grundproblem besteht in der falschen Annahme, dass Demokratie ein Heilmittel sei für alle Krankheiten dieser Welt und dass die USA die Verantwortung hätten, die Einrichtung einer demokratischen Regierung zu fördern, überall dort in der Welt, wo es sie nicht gibt.“

Das mag wie ein Linker klingen, der Bush angreift, aber es handelt sich tatsächlich um Dimitri K. Simes, den Präsidenten des vor allem republikanischen „Nixon Center“ und Mitherausgeber des Magazins „National Interest“. Und er ist nicht der Einzige, der die Regierung dazu auffordert, das Vor-Reagansche Erbe zurückzufordern – und zwar zu Gunsten der Realpolitik auf ihren moralistischen, Wilsonschen, neokonservativen Traum zu verzichten, Demokratie überallhin zu exportieren.

Der größte Graben in außenpolitischen Fragen könnte vor der diesjährigen Wahl weniger zwischen Linken und Rechten verlaufen, sondern eher zwischen verschiedenen konservativen Lagern. Es gibt eine wachsende Zahl so genannter „Realisten“, die das Gefühl haben, dass die amerikanische Außenpolitik von einem eng definierten Begriff nationalen Interesses bestimmt sein sollte, und weniger von einem breit angelegten Wunsch, in globalem Maßstab Demokratie und Menschenrechte zu fördern.

Diese Realisten finden ein zunehmendes Echo, wenn sie vor Abenteurertum im Ausland warnen. Sie glauben an Realpolitik, nicht an Moralpolitik. Anders als die antiimperialistischen Kritiker von der Linken sehen diese Realpolitiker die amerikanische Macht nicht als etwas Schlechtes an. Im Gegenteil: Sie verehren sie. Aber sie fürchten, die Macht des Landes zu verspielen und erinnern gerne an die Warnung des britischen Staatsmannes Edmund Burke: „Ich fürchte unsere eigene Macht und unseren Ehrgeiz. Ich fürchte mich davor, zu sehr gefürchtet zu werden.“

In den letzten Monaten hat sich die von Simes ausgedrückte Angst vor einer Überdehnung der amerikanischen Möglichkeiten weiter verbreitet. Der realpolitische Denker Fareed Zakaria, Autor des Bestsellers „The Future of Freedom“, einer skeptischen Analyse der Idee des Demokratie-Exports, schreibt: „Irgendwann wird man den Kopf aus dem Sand herausziehen, der Markt wird reagieren und der Haushalt unter Druck geraten. Dann wird der Kongress nach Einsparmöglichkeiten suchen und bei der auswärtigen Politik, auch beim Militär, Einschnitte machen. Und Amerikas grandioses neues Engagement in der Welt wird sich als sehr kurzatmig herausstellen.“

Es ist gerade dieser starke neokonservative Impuls, die Dritte Welt zu demokratisieren, der Autoren wie den konservativen Kolumnisten George F. Will beunruhigen. Will wendet sich gegen Bushs These, dass jedes Land eine Demokratie werden kann. Laut Will ist nichts reizvoller als die Idee, die „plötzlich ein zentraler Teil amerikanischer Außenpolitik ist, dass Nationen mechanische, nicht organische Dinge sind. Und deshalb eine Macher-Nation mit Ingenieurtalent – wie die Amerikaner – Nationen formen kann. Dieser Vorstellung fehlt in gefährlicher Weise der Respekt für die elementaren, mächtigen Impulse, die den Kern von Nationen darstellen."

Bis jetzt hat solche Kritik keinen Einfluss auf die Neokonservativen in der Regierung gehabt. Es sind nur zarte Anzeichen für eine Rebellion im Kongress zu beobachten, deren konservative Mitglieder die Neokonservativen verachten und die sich zunehmend über das Haushaltsdefizit beschweren, das der Irakkrieg hinterlässt. Die Art von Debatte, die es beim Vietnamkrieg gab, hat noch nicht begonnen und wird auch nicht beginnen, wenn es den USA gelingt, die Lage im Irak in diesem Sommer zu stabilisieren. Aber ein gewisses Konfliktpotenzial wird aus Washington nicht zu vertreiben sein.

Wenn Bush im November gewinnt, werden die Realisten versuchen, für die zweite Amtszeit die Positionen der Neokonservativen im Verteidigungs- und Außenministerium zu übernehmen. Und wenn Bush verliert, beginnt ein blutiger Kampf innerhalb der Republikaner über die Außenpolitik.

Aber wäre Deutschland glücklicher, wenn Bush nach einem Wahlsieg Realpolitik verfolgen würde statt Moralpolitik? Würde ein Hintanstellen der Menschenrechte den Deutschen besser gefallen als die militärische Kreuzfahrermentalität der Neokonservativen und ihr Versuch einer Befreiung des Nahen- und Mittleren Ostens? Manchmal muss man vorsichtig sein, was man sich wünscht.

Der Autor ist Leitartikler der „Los Angeles Times“.

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