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Je mehr die Datenflut im Netz anschwillt, desto wichtiger wird auch die Rolle der Geheimdienste bei der Auswertung von Informationen.

© dpa

Geheimdienste: Neue Spione braucht das Land

Die Snowden-Affäre ist nicht vorbei, vielleicht hat sie noch gar nicht richtig begonnen. Weitere Enthüllungen sind zu erwarten, mit unkalkulierbaren Folgen. Am Ende könnten die Geheimdienste profitieren.

Der Mann, der sich am 9. Juni 2013 der Welt als Edward Snowden vorstellte und zugab, als Computertechniker einer privaten Beratungsfirma streng geheime Daten des US-Geheimdienstes NSA abgeschöpft zu haben, glaubt vermutlich an seine Version. Aber an seiner Vision, die ihn zu den Enthüllungen über die globalen Aktivitäten der NSA antrieb, könnte er mit gutem Grund zweifeln. Der Wunsch, in einer Welt mit weniger Geheimdienst und weniger Überwachung zu leben, könnte sich als Illusion erweisen.

Seit gut vier Monaten sitzt der 30-jährige Amerikaner im russischen Asyl. Die Weltmacht USA hat ihn zum Staatsfeind erklärt, er gilt als Verräter und wird mit internationalem Haftbefehl gesucht. Snowden geht davon aus, in öffentlichem Interesse zu handeln, indem er Transparenz über die Geheimdienst-Aktivitäten herstellt. Den Bürgern soll das Bedrohungspotenzial der Überwachung bewusst werden, und das, ohne ihre berechtigten Sicherheitsinteressen zu gefährden. „Was der Öffentlichkeit in den USA und in anderen Ländern hilft, das hilft auch der Regierung der Vereinigten Staaten“, erklärte Snowden Anfang November im Gespräch mit deutschen Journalisten in Moskau.

Aber diese Prämisse ist trügerisch. Öffentlichkeit und Regierung, sei es in den USA oder in jedem anderen Land, teilen nicht grundsätzlich dieselben Interessen. Der berechtigte Anspruch des Bürgers westlicher Demokratien, seine persönlichen Freiheitsrechte auch vor dem Kontrollübergriff des Staates zu bewahren, ist die Voraussetzung für den staatlichen Auftrag, die freiheitliche Grundordnung zu schützen – auch mit geheimdienstlichen Mitteln. Aber aus diesem Verhältnis ergeben sich unterschiedlich gelagerte, zum Teil sich widersprechende Interessen.

Welcher Seite nutzt die Snowden-Affäre und wem hat der Whistleblower geschadet?

Die Frage lautet also: Welcher Seite nutzt die Affäre um Edward Snowden wirklich, und wem – außer sich selbst – hat der Whistleblower bisher tatsächlich geschadet?

Die Datenflut hat die Grenzen zwischen Privatheit und Öffentlichkeit längst bis zur Unkenntlichkeit verwischt. Der fortdauernd anschwellende Strom digitaler Informationen verführt alle Netzteilnehmer zur Erzeugung immer neuer Daten. Und die Politik sieht dem beinahe schrankenlosen Datenverkehr scheinbar hilflos zu. Sie verweigert sich ihrer Verantwortung, indem sie zum Treiben ihrer Nachrichtendienste lieber schweigt.

Auf dieses politische Vakuum haben Snowden und seine Unterstützer aufmerksam gemacht. Dieses Verdienst ist nicht zu unterschätzen. Aber nur wenn es gelingt, das Interesse der Öffentlichkeit dauerhaft auf die Gefahren des weltumspannenden Netzes zu lenken und eine kritische Masse zu erzeugen, entsteht der notwendige politische Druck, um international verbindliche Regeln für den Datenschutz zu erreichen.

Aufgaben und Befugnisse der Geheimdienste müssen diskutiert werden

Zweifellos spielen bei diesen Überlegungen die Geheimdienste eine wichtige Rolle. Je umfassender die Datenströme alle Lebensbereiche bestimmen, desto größer werden die Gefahren des Missbrauchs, die sich gleichermaßen gegen die Interessen des Einzelnen wie gegen die Sicherheitsinteressen von Staaten oder Bündnissen richten können. Um diesen Gefahren wirksam begegnen zu können, müssen Nachrichtendienste in die Lage versetzt werden, technisch und fachlich mit der Entwicklung Schritt zu halten.

Für diese Aufgabe benötigt die Politik eine breite öffentliche Diskussion über die Aufgaben, die Befugnisse und Beschränkungen geheimdienstlicher Arbeit. Die Transparenz-Offensive der Whistleblower fordert den Verantwortlichen Erklärungen ab. Die politische Strategie der Abschirmung, die über die Jahrzehnte des Kalten Krieges das Spionagewesen in Ost wie West weitgehend unsichtbar gemacht hat, trägt nicht mehr.

Der USA kann es nur Recht sein, wenn Deutschland seine Geheimdienste aufrüstet

Je mehr die Datenflut im Netz anschwillt, desto wichtiger wird auch die Rolle der Geheimdienste bei der Auswertung von Informationen.
Je mehr die Datenflut im Netz anschwillt, desto wichtiger wird auch die Rolle der Geheimdienste bei der Auswertung von Informationen.

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Die Enthüllungen über die fragwürdigen Operationen der NSA, die Beteiligung an völkerrechtswidrigen Aktionen in Kriegsgebieten, die undurchsichtigen Praktiken der Informationsbeschaffung, von der auch deutsche Sicherheitsbehörden profitieren, stellen die Geheimdienste westlicher Demokratien vor ein Legitimationsproblem. Auffallend ist jedoch die ungleiche Verteilung des öffentlichen Drucks. Während die Reaktionen in Deutschland, wohl auch aufgrund der historischen Erfahrungen mit diktatorisch instrumentalisierten Geheimdiensten, besonders heftig sind, bleiben sie in den USA und Großbritannien vergleichsweise zurückhaltend.

Transparenz könnte die Akzeptanz der Geheimdienste erhöhen

Eine Demokratisierung der Geheimdienste dürfte sich, wenn überhaupt, nur sehr ungleichzeitig entwickeln. Und möglicherweise mit ganz anderen Folgen, als von den Netzaktivisten erwartet. Denn mehr öffentliche Transparenz und wirksamere rechtsstaatliche Überwachung der Geheimdienst-Tätigkeiten würden den Nachrichtendiensten nicht nur eine breitere demokratische Legitimationsbasis verleihen. Eine wachsende öffentliche Sensibilität für die Sicherheitsaufgaben der Geheimdienste könnte auch die Akzeptanz für erweiterte Kompetenzen vergrößern – durch die Erkenntnis, dass es nicht allein mit No-Spy-Abkommen getan ist, um das Vertrauen zwischen verbündeten Staaten dauerhaft zu erhalten, sondern im Gegenteil auch ein gewisses Maß an gegenseitiger Kontrolle dazugehört. Die funktioniert am besten, wenn Dienste sich miteinander vernetzen, weil sie gemeinsame Interessen haben.

Sollte sich diese Einsicht durchsetzen, stünden die Whistleblower plötzlich als Initiatoren einer vertrauensbildenden Maßnahme zwischen Bürgern und Spionen da. Wie wichtig Öffentlichkeitsarbeit in diesem Sinne für Geheimdienste ist, hat Gerhard Schindler, der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, erkannt. Seine Behörde verstehe sich als „moderner Dienstleister“, sagte Schindler in dieser Woche. Eine Botschaft, die beim Bürger ankommen soll: „Wir brauchen mehr Transparenz als Voraussetzung für eine breitere Vertrauensbasis in der Bevölkerung.“ Durchaus denkbar also, dass der kritische Diskurs am Ende auch die Anerkennung für die Sicherheitsleistungen der Geheimdienste und das Verständnis für die Perspektive erhöht, mit der Regierungen und ihre Spione auf die Welt blicken. Sie lässt sich auf die einfache Formel bringen: Vertrauen ist gut, aber Kontrolle ist vertrauensbildend.

Edward Snowden sollte noch einen Trumpf im Ärmel haben

Für Edward Snowden wäre diese politisch-pragmatische Sicht der Dinge möglicherweise lebensgefährlich. Die Öffentlichkeit, mit der er sich im Kampf gegen das Schreckbild totaler Überwachung verbündet fühlt, könnte das Interesse an dem Moskauer Asylanten ebenso schnell verlieren wie sein Protegé, Russlands Präsident Wladimir Putin. Edward Snowden ist, aus ganz persönlichen Gründen, zu wünschen, dass er noch einen Trumpf im Ärmel hat, über den es sich lohnt zu verhandeln.

Die Amerikaner hätten durchaus Grund, ihrem abtrünnigen Systemadministrator etwas entgegenzukommen. Schließlich spricht einiges dafür, dass der Verräter unfreiwillig dazu beiträgt, die Niederlage, die er der Weltmacht zugefügt hat, nachträglich in einen Gewinn umzumünzen. Zwar sind die bisherigen Enthüllungen über die ausufernde Überwachungstätigkeit der US-Geheimdienste zweifellos peinlich und ärgerlich für die amerikanische Regierung. Das Ausmaß, das die Datensammelwut nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 angenommen hat, belastet die Beziehungen der USA zu den europäischen Verbündeten. Auch ist bisher nicht absehbar, welchen Schaden die mehr als 50 000 Dokumente, die Snowden von den Festplatten der NSA kopiert hat, anrichten können. Nach Angaben des Chefredakteurs des „Guardian“, Alan Rusbridger, der in dieser Woche dem Innenausschuss des britischen Unterhauses Rede und Antwort stand, wurde erst ein Bruchteil von weniger als einem Prozent der Daten, die auch Informationen über den britischen Geheimdienst enthalten, überhaupt veröffentlicht. Sensible Daten, deren Bekanntwerden die nationale Sicherheit und Menschenleben gefährden könnten, würden bewusst zurückgehalten, versichert Rusbridger.

Der sensible Umgang mit Daten ist auch für Geheimdienstmitarbeiter neu

Doch trotz dieser belastenden Tatsachen bliebe immerhin anzuerkennen, dass Snowden die US-Behörden auf brisante Sicherheitslücken im Geheimdienstapparat aufmerksam gemacht hat. Nach Darstellung aus Ermittlerkreisen der US-Regierung soll sich der hoch talentierte IT-Spezialist, der in den Jahren 2005 bis 2009 bereits für US-Armee und CIA tätig war, im NSA-Büro auf Hawaii den Zugriff auf die zum Teil streng geheimen Computerdateien nur deshalb verschafft haben können, weil ihm NSA-Mitarbeiter bereitwillig ihre Passwörter überlassen hatten. Auf die Begründung hin, er benötige die Zugangscodes für seine Tätigkeit als Systemadministrator, soll Snowden nach Aussage eines weiteren Insiders 20 bis 25 Kollegen dazu gebracht haben, ihm ihre vertraulichen Login-Daten zu verraten. Die Mitarbeiter seien befragt und suspendiert worden, heißt es. Der Geheimdienst als „Phishing“-Opfer.

Wenn diese Darstellung zutrifft, ist der sichere Umgang mit sensiblen persönlichen Daten auch für NSA-Mitarbeiter Neuland. In diesem Fall wüsste jeder durchschnittlich intelligente Sparkassenkunde besser, dass er die Geheimzahl seiner EC-Karte an niemanden herausgeben muss, und sei es einem Systemadministrator.

Edward Snowden kann nicht auf Strafmilderung hoffen

Je mehr die Datenflut im Netz anschwillt, desto wichtiger wird auch die Rolle der Geheimdienste bei der Auswertung von Informationen.
Je mehr die Datenflut im Netz anschwillt, desto wichtiger wird auch die Rolle der Geheimdienste bei der Auswertung von Informationen.

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Freilich wird Edward Snowden kaum erwarten dürfen, dass ihm die Offenlegung solcher Pannen strafmildernd ausgelegt wird. Ebenso wenig wie der langfristig weit größere Nutzen, den die US- Regierung aus dem Enthüllungsskandal voraussichtlich ziehen kann, nachdem sich die Erregungswellen gelegt haben werden. Der erste – aus Sicht der Amerikaner – positive Effekt lässt sich bereits beobachten: In Deutschland, wo die Aufregung über die Ausspähprogramme der Amerikaner am größten ist, finden Forderungen wie die des ehemaligen BND-Chefs August Hanning, der schon 2008 anmahnte, die geheimdienstlichen Kompetenzen stärker zu bündeln und technisch aufzurüsten, inzwischen auch politisches Gehör.

Den USA kann es nur recht sein, wenn Deutschland seine Geheimdienste aufrüstet

Bisher noch sind die deutschen Sicherheitsbehörden hochgradig vom Informationszufluss und vom technischen Know-how der Amerikaner abhängig. Hinzu kommt, dass die US-Geheimdienste auf der Grundlage geheimer Verträge zwischen der Bundesrepublik und den Alliierten die Kommunikation hierzulande seit Jahrzehnten quasi legal und unkontrolliert observieren, auch und besonders die des Spitzenpersonals in Politik und Wirtschaft, wie der Historiker Josef Poscherath in seinem Buch „Überwachtes Deutschland“ darlegt.

Geheimdienst-Experten wie der Publizist Erich Schmidt-Eenboom, der jahrelang über die Aktivitäten deutscher Geheimdienste recherchierte und dabei selbst ins Visier des BND geriet, sehen das bewährte Netzwerk der Aufklärung durch die NSA-Affäre nicht infrage gestellt. Dafür sind die gemeinsamen Interessen der Bündnispartner in der internationalen Sicherheitspolitik zu groß – und der Fall Snowden zu klein. Aber nach Jahrzehnten der intensiven Fürsorge kann es den Amerikanern nur recht sein, wenn Deutschland seiner Rolle als europäischer Führungsmacht und seinen wachsenden Sicherheitsansprüchen entsprechend eigene Anstrengungen unternimmt, seinen Geheimdienst-Apparat technisch und personell aufzurüsten. Nicht zuletzt deshalb, weil bei dieser Aufbauarbeit zumindest mittelfristig auch amerikanische Firmen gefragt bleiben dürften.

Die Snowden-Affäre ist noch längst nicht vorbei

Die Schläfer-Gruppe um Mohammed Atta, die sich in Hamburg unbehelligt auf die Anschläge des 11. September vorbereiten konnte, und zuletzt die Ermittlungspannen bei der Aufklärung der NSU-Mordserie dürften die Amerikaner allerdings davon überzeugt haben, dass die Deutschen noch erheblichen Nachholbedarf haben, bis ihre Geheimdienste effizient arbeiten.

Für die USA wäre es eine große Entlastung, wenn auch Deutschland in Sachen Spionage im 21. Jahrhundert ankommen würde. Amerika hat genug neue Aufgaben für die Aufklärung, in Nah- und Mittelost, im asiatischen Raum, in Russland und China. Es sind Aufgaben, die auch die Sicherheitsinteressen Europas berühren. Die Unterstützung der Bündnispartner durch effektive Nachrichtendienste wird kaum unerwünscht sein.

Die Snowden-Affäre ist nicht vorbei, möglicherweise hat sie noch gar nicht richtig begonnen. Die neueste Enthüllung, dass die NSA weltweit Bewegungsdaten von Handynutzern sammelt, zeigt, dass noch manches zu erwarten ist. Niemand, auch nicht Snowden, vermag zu sagen, welche Folgen und Konsequenzen die Enthüllungen zeitigen werden. Nur eins ist sicher: Die Spione werden nicht arbeitslos.

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