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Meinung: Geiz schmeckt nicht

Warum uns Produktvielfalt etwas kosten sollte

Das war einmal ein klassisches Thema der altlinken Kapitalismuskritik: Wozu braucht der Mensch 32 Sorten Toilettenpapier? Doch wir haben uns längst daran gewöhnt, dass Produkte Bedürfnisse nicht nur befriedigen, sondern auch wecken dürfen, und dass Angebotsvielfalt ein Vorteil an sich ist, auch wenn sie eine Lawine unsinniger Produkte hervorbringt. Doch plötzlich heißt es wieder: Kein Mensch braucht 32 Sorten Toilettenpapier. Nur kommt der Satz diesmal aus einer Studie von McKinsey, den Kapitalismus-Exegeten schlechthin. Irgendwas ist aus dem Lot geraten in unserer Marktwirtschaft.

McKinsey hat sich mit der Frage beschäftigt, wie die klassischen deutschen Supermärkte gegen Aldi, Lidl & Co. bestehen können. Die Lösung: durch radikales Zusammenstreichen von Sortiment und Personalbestand, also die schleichende Aldisierung. Eine Schocktherapie nach Beraterart zweifellos – aber weder die Handelsketten noch ihre Kunden dürfen sich darüber beschweren, dass solche radikalen Rezepte ernsthaft diskutiert werden. Richtig ist, dass die großen Händler strategische Fehler gemacht haben, die in der Konjunkturflaute fatale Wirkungen entfalten. Immer mehr klamme Konsumenten fragen sich völlig zu Recht, was ihnen die Besserverdiener-Läden eigentlich an Mehrwert bieten, abgesehen von der Klopapier-Vielfalt. Und sie erhalten keine Antwort, vor allem wenn es um Nahrungsmittel geht. Es gibt tatsächlich keinen Grund, für industrielle Massenprodukte ohne jede Individualität, vollgestopft mit Konservierungsmitteln, Geschmacksverstärkern und künstlichen Aromen, mehr Geld auszugeben als unbedingt nötig, auch nicht, wenn draußen der preisfördernde Name einer bekannten Marke draufsteht. Denn diese Firmen, das weiß der aufgeklärte Käufer, produzieren unter Phantasienamen auch für Aldi.

Die Strategie des gehobenen Einzelhandels hätte darin bestehen müssen, sich qualitativ nach oben abzuheben, geeignete Erzeuger zu fördern und diesen gar nicht so kleinen Unterschied durch Einsatz kundigen Personals auch deutlich zu machen. Doch stattdessen hat man herumgeeiert, ist dem scharfen Preiskampf auf Kosten der Qualität halbherzig hinterhergelaufen, hat Mitarbeiter entlassen, gute Lieferanten ausgelistet, andere finanziell ausgepresst – und so erst jenen die Argumente geliefert, die nun unwiderlegbar feststellen, da könne man ja gleich zu Aldi gehen.

Doch auch die Kunden selbst hätten es in der Hand gehabt, gute Qualität zu fördern, wären sie nicht allzu bereitwillig auf das Geiz-ist-geil-Geschrei der Werbung eingestiegen. Fraglos gibt es zurzeit so viele Deutsche wie lange nicht mehr, die sich nur noch das Nötigste leisten können. Doch viele Marktsegmente – Computer, Unterhaltungselektronik – boomen nach wie vor; warum sollte ein Land, das sich noch in der Flaute mit riesigen Flachbildschirmen, DVD-Spielern, Surround-Anlagen, Digitalkameras und Notebooks förmlich zuschüttet, ein Land, dessen Bürger immer noch unzählige Milliarden auf der hohen Kante lagern, keine gehobenen Supermärkte mehr tragen können?

Die unsentimentale Analyse der McKinsey-Berater ist von derlei qualitativen Argumenten völlig frei – deshalb wirkt sie so schockierend. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die großen Einzelhändler, gestützt auf diesen Rat, den Billig-Vorbildern nacheifern und die Aldisierung des Handels vorantreiben, bis nichts anderes mehr da ist. Doch wenn dann die Konjunktur anspringt und wir gern alle wieder schöner und besser einkaufen würden – dann könnte es sein, dass die Läden, die wir dafür brauchen, einfach nicht mehr da sind. Und, schlimmer noch, dass es auch die guten Produzenten nicht mehr gibt. Was immer man von den Beratern halten mag: Die Schuld an dieser Entwicklung tragen nicht sie.

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