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Meinung: Gelobtes Land für Muslime

Der Islam ist in Amerika immer noch freier als in Europa Von Peter Skerry

Kurz nach dem 11. September sagte mir ein prominenter Muslim voller Optimismus: „Amerika ist das Land, in dem der Islam tausend Jahre des Obskurantismus überwinden wird, um zu dem zu werden, was er eigentlich sein sollte.“ Das war, als muslimische Persönlichkeiten noch im Weißen Haus empfangen wurden. Seitdem wurden die Beziehungen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen immer angespannter. Dennoch sagen muslimische Vertreter sowohl im Privaten wie öffentlich weiterhin, dass die langfristigen Perspektiven des Islam in den USA positiv sind.

Ein wichtiger Grund ist die außergewöhnliche Religionsfreiheit. Weil der erste Zusatz der USVerfassung die freie Ausübung der Religion garantiert, tragen muslimische Frauen ihr Kopftuch in staatlichen Schulen und Universitäten, in Regierungsbüros genauso wie auf öffentlichen Plätzen. Anders als in Frankreich oder Deutschland hat es hier auch keine großen Kontroversen über das Kopftuch gegeben.

Ein anderer Aspekt sind die religiösen Schulen. Es gibt in den Staaten etwa 300 private muslimische Vollzeitschulen, in denen die Kinder Islam und Arabisch neben den normalen Schulfächern lernen. Sie haben weniger den Charakter von Koranschulen, sondern bereiten die Schüler normalerweise auf die Universität vor. Und weil sie keine staatlichen Gelder erhalten, werden diese Schulen praktisch nicht kontrolliert – genauso wenig wie ihre katholischen, protestantischen und jüdischen Gegenstücke. Das unterscheidet sie von den religiösen Schulen in Europa.

Aber Religionsfreiheit bedeutet in den USA mehr als nur Gesetze und Regeln. Sie ist Teil eines dynamischen religiösen Marktes. Anders als in Europa müssen Muslime nicht darum kämpfen, von der staatlichen Bürokratie als Religionsgemeinschaft anerkannt zu werden. Im Gegenteil, sie müssen mit 1600 Religionen und Konfessionen um ihren Marktanteil konkurrieren, von denen die Hälfte erst nach 1965 gegründet wurden.

Diese Konkurrenz führt dazu, dass Missionierung ein offensichtlicher Teil des Lebens in Amerika ist. Obwohl manche damit Probleme haben, besonders Juden, halten die meisten Amerikaner solche Anstrengungen nicht für kritikwürdig – Muslime eingeschlossen, die eine lange Geschichte der Mission haben. Diese Möglichkeit, neue Anhänger zu werben, ist der Grund, warum viele Muslime Amerika schätzen.

Öffentliche Glaubensbekundungen sind in Amerika weitaus akzeptierter – und erwünschter – als in Europa. Im Präsidentschaftswahlkampf hat sich sogar John Kerry bemüßigt gesehen, darüber zu reden, wie der Katholizismus sein Leben prägte. Im Gegensatz dazu schockiert es die Franzosen, wenn Nicolas Sarkozy öffentlich über seinen religiösen Hintergrund redet und die Muslime auffordert, dasselbe zu tun.

Dennoch sind amerikanische Muslime mit ernsthaften Problemen konfrontiert. Schon vor dem 11. September gab es Fälle von Diskriminierungen. Aber selbst danach führte der weit gefasste Geist religiöser Freiheit dazu, dass solche Angelegenheiten schnell gelöst werden konnten. Weit schwerwiegender war die Bedrohung der Bürgerrechte von Muslimen, die der Kampf gegen den Terror mit sich brachte. Für viele Muslime war die Weigerung der US-Regierung, dem Schweizer Gelehrten Tariq Ramadan ein Visum zu erteilen, nur der letzte Fall in einer Serie von Kränkungen, die mit der Inhaftierung von mehreren tausend Muslimen nach dem 11. September begonnen hatte.

Aber selbst jetzt führen ihre religiösen Überzeugungen die Muslime näher an Amerika. Sie sind sich bewusst, dass sie die letzte religiöse Minderheit sind, die in Amerika schlecht behandelt wird. Ihre Führer erinnern sie daran, dass sie die Bigotterie ebenso überwinden werden wie vorher Katholiken und Juden. Wie einer von ihnen sagte: „Schaut euch die Juden an. Sie wurden früher nicht zu den Universitäten der Ivy League zugelassen. Nun ist ein Jude Präsident von Harvard.“

Muslime vergleichen ihre Situation mit der der Afroamerikaner während der Bürgerrechtsbewegung. Wie Martin Luther King, den sie oft zitieren, berufen sich führende Muslime auf Amerikas Gründungsprinzipien. Der Imam einer Moschee in Boston erinnerte seine Zuhörer kürzlich daran, dass die Unabhängigkeitserklärung lehrt, dass alle Menschen „von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten“ ausgestattet seien. Es scheint ein Paradox zu sein – aber ein sehr amerikanisches. Während Muslime darum kämpfen, Hindernisse gegen ihre volle Teilhabe an der Gesellschaft zu überwinden, binden sie die religiösen Traditionen Amerikas immer enger an seine liberalen politischen Prinzipien.

Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft in Boston und Fellow der Brookings Institution.

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