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Meinung: Gemeinsinn - auch für die Karriere

Plädoyer für eine offene Diskussion über die soziale Dienstpflicht

Von Robert Birnbaum

Es gibt Debatten, die versanden, und andere, die werden gar nicht erst geführt. Wer das Stichwort „allgemeine Dienstpflicht“ in die Runde wirft, darf schon froh sein, wenn ihm im Chor nur die Antwort „Quatsch!“ entgegenschallt. Allenfalls lässt sich noch ein Jurist gönnerhaft dazu herab, den Artikel 12 des Grundgesetzes aufzuschlagen, in dem das Verbot von Zwangsarbeit festgeschrieben ist. Ende der Debatte.

So geht es rituell seit Jahrzehnten. Das ist schade, und richtig ehrlich ist es auch nicht. Seit es – als grundgesetzlich geduldete Ausnahme vom Zwangsverbot – die Wehrpflicht gibt, findet nämlich keiner ihrer Befürworter etwas dabei, diesen Zwang auch mit den positiven gesellschaftlichen Auswirkungen des Grundwehrdienstes zu rechtfertigen. Einbindung der Armee in die Gesellschaft, Gegengift gegen eine Armee als „Staat im Staate“ und gegen eine „Söldnerarmee“, die von einer Regierung vergleichsweise bedenkenlos in ferne Weltgegenden geschickt wird – die Argumente sind seit langem bekannt. Allerdings hat sich ihr Status verändert: Sie sind in der vor sich hin köchelnden Wehrpflicht-Debatte von einer Nebenbegründung zum zentralen Argument geworden. Denn die alte Hauptrechtfertigung, dass Deutschland von Nachbarn bedroht sei und seine jungen Männer zur Abwehr dieser Gefahr brauche, hat sich erledigt. Die Versuche, sie in Gestalt einer „Man kann ja nie wissen was noch mal kommt“-Theorie lebendig zu halten, wirken reichlich unplausibel.

Man kann daraus den Schluss ziehen, dass die Wehrpflicht mangels Rechtfertigung abgeschafft gehört. Aber selbst bei vielen erklärten Wehrpflichtgegnern schwingt ein leises Unbehagen bei dem Gedanken mit. Die Wehrpflicht und mit ihr den Zivildienst abzuschaffen bedeutet ja zugleich den Abschied von der Idee, dass ein junger Mensch ruhig mal ein paar Monate lang der Gemeinschaft dienen sollte. Sicher, es gibt das freiwillige soziale Jahr. Das boomt sogar, aus den verschiedensten Gründen. Aber dass das kleine Praktikum in Staatsbürgerkunde nur noch freiwillig sein soll, ist ein unbefriedigender Gedanke. Das hat gar nichts mit Misstrauen in die jungen Leute zu tun, dafür aber sehr viel mit Misstrauen in eine Welt, deren humanes Ideal eben doch eher der Schnellkletterer auf der Karriereleiter ist als der 19-jährige Nachbarschaftshelfer. Der wird lauthals gelobt, aber still belächelt.

Doch andererseits – eine Dienstpflicht für alle? Richtig sympathisch ist die Idee auch nicht, jenseits aller Rechtsfragen. Historisch ist das „Pflichtjahr“ schlimm beleumdet; wer in der DDR aufgewachsen ist, dürfte von volkseigenen Bürgerpflichtdemonstrationen ebenfalls die Nase voll haben. Immerhin ist in anderer Hinsicht ein bisschen Ideologie aus dem Thema verschwunden: Wer als Jugendlicher in den 70er und 80er Jahren „den Staat“ nicht repressiv oder wenigstens doof fand, stand im Abseits, wer über Pflichten gegenüber dem Staat redete, im Verdacht des Reaktionärs. Das ist heute nicht mehr so.

Noch einmal also die Frage nach der Dienstpflicht für alle. Einerseits: Nein, blanker Zwang ist nie gut. Vielleicht lohnt es aber über einen Weg nachzudenken, den in etwas anderem Zusammenhang die Weizsäcker-Kommission erwogen hat. Das Gremium hat, als es Alternativen zur Wehrpflicht suchte, eine „Auswahlwehrpflicht“ vorgeschlagen. Der Grundgedanke ist simpel: Wer sich dem Dienst an der Gemeinschaft stellt, wird belohnt. Weniger mit Geld als mit systematischer Vorzugsbehandlung, etwa beim Start ins spätere Berufsleben. In Ansätzen gibt es das beim freiwilligen Sozialjahr, aber eben nur in Ansätzen. Die „Belohnung“ ist oft geringer als der Startvorteil dessen, der das eine Jahr früher auf die Karriereleiter springt. Man kann das ändern. Es kostet gar nicht viel, nicht in Euro jedenfalls. Nur einen Wandel im Denken. Vielleicht ist die Zeit ja reif für den Anfang der Debatte.

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