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Generalstreik: Wenn Oskar auf die Straße geht

Die Bahn blockiert - und Oskar Lafontaine ruft zum Generalstreik auf. Das ist nicht nur ein absurder Plan, sondern außerdem verfassungsfeindlich.

Da machen sich die Leute noch einen Kopf wegen des Bahnstreiks. Doch schon kommt Oskar Lafontaine daher und verlangt nach dem politischen Generalstreik als einem neuen Medium der Politik, weil mit den hergebrachten demokratischen Strukturen nach seiner Ansicht kein Staat und keine gerechte Politik zu machen sind. Ein Bahnstreik mag uns auf die Nerven gehen. Oskar Lafontaine aber geht an die Substanz, ans Eingemachte unserer verfassungsmäßigen Politik überhaupt.

Auf den ersten Blick mag man Lafontaines Forderung als das hohle Gerede eines Mannes abtun, der weiß, dass seine Partei, die in die Bundesweite gedrehte PDS (mit ihrer Vorgeschichte), nie mehrheitsfähig sein wird und im Gesamtstaat, also im Bund, auch keinen Koalitionspartner finden wird – jedenfalls nicht, solange er selber an ihrer Spitze steht. In Wirklichkeit aber ist Lafontaines Generalstreik-Rhetorik durchaus geeignet (und auch dazu bestimmt), die Legitimität und die Funktionsfähigkeit des demokratisch-parlamentarischen Systems auszuhöhlen. Wohl wahr, auch unser politisches System und seine Praxis weisen gewiss so viele Fehler auf, wie ein Hund Flöhe hat. Aber das ist ja noch lange kein Grund, den Hund abzuschaffen. Welches System hätte denn weniger Fehler – wenn es so etwas wie eine fehlerfreie Politik überhaupt geben könnte?

Der normale Streik, zu dem letztlich auch der Bahnstreik gehört, unterscheidet sich vom politischen Generalstreik dadurch, dass er zunächst (und in legitimer Weise egoistisch) den Löhnen und Arbeitsbedingungen jener Arbeitnehmer gilt, die als Einzelne keine Verhandlungsmacht gegenüber den Arbeitgebern hätten. Im normalen Arbeitskampf haben die Arbeiter das Streikrecht, die Arbeitgeber aber Mittel zur Gegenwehr, etwa die Aussperrung – mit anderen Worten: Keiner kann mit dem Kopf durch die Wand! Kapital und Arbeit (oder neurheinisch ausgedrückt: die Sozialpartner) stehen einander – ein wenig idealisiert gesagt – nach dem Gesetz der Waffengleichheit gegenüber. Und wie idealtypischerweise bei allen Marktvorgängen der Fall, hält sich die Politik aus diesem mehr oder weniger freien Spiel der Kräfte heraus.

Ein Generalstreik hingegen beansprucht das Monopol der Entscheidung in politischen Angelegenheiten, er will den verfassungspolitisch geordneten Entscheidungsprozess kapern und zur Geisel seiner nackten Massen- und Eigenmacht nehmen. Er findet nicht statt zwischen gleichrangigen (und voneinander wechselseitig abhängigen) Konkurrenten auf dem Markt der Möglichkeiten, sondern er richtet sich letztlich als Erpressung gegen den Staat insgesamt, gegen ein politisches System, dem am Ende nur die Kapitulation oder der Einsatzbefehl an die Polizei bleiben; in allerletzter Konsequenz kündigt der Generalstreik den Bürgerkrieg als Ultima Ratio an.

So weit ist es ja noch lange nicht! Aber man sollte das Ende der Melodie kennen, deren erste Töne Oskar Lafontaine anschlägt. Es ist nichts anderes als das alte antidemokratische, antiparlamentarische und antiliberale Lied von der schmutzigen und nutzlosen Parlamentspolitik („Schwatzbude“), das seit jeher linken wie rechten Extremisten als Hymne bei ihrem Kampf gegen die geordnete Verfassung (mit all ihren Flöhen, zugegeben) gedient hat. Dass mit diesem angeblich verrotteten System keine richtige Politik zu machen sei, das sagen schließlich auch die Neonazis wieder.

Ich bin gerne bereit, Lafontaines Gerede unter der mir teuren Meinungsfreiheit zu verbuchen – aber ich halte genauso wenig mit meiner Meinung zurück: Wer so redet, redet verfassungsfeindlich. Man sagt zwar, (erst) an ihren Taten solle man sie erkennen. Manchmal reichen schon die Reden.

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