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Autor Matthias Kalle.

© Promo

Gentrifizierung: Wider den Hipster

Weil unser Kolumnist meint, Wohnungen seien immer nur Kompromiss und niemals wirkliche Wahl, hat sich Matthias Kalle ein Haus gekauft. Und ein Buch geschrieben. Darin mokiert er sich über zugezogene westdeutsche Landpomeranzen.

Ich habe ein Buch geschrieben, ein Buch darüber wie es ist, ein Haus zu bauen, das Buch kann man jetzt kaufen. Harald Martenstein findet übrigens, dass es ein lustiges Buch geworden ist, seine Meinung steht hinten auf dem Buch drauf. Jetzt habe ich festgestellt, dass einige Stellen gar nicht so lustig sind, sondern das mir unbewusst vielleicht ein kleiner Beitrag zu so genannten Gentrifizierungsdebatte in das Buch gerutscht ist, das liest sich dann so:

„Ich wollte ein Haus kaufen, weil ich mit der Gesamtsituation nicht einverstanden war, weil ich das Leben, das ich führte, nicht mehr führen wollte, weil es seinen Sinn und seinen Glanz verloren hatte. Weil es niemals Sinn und Glanz hatte. Dieses Leben in Wohnungen, das immer nur Kompromiss war, niemals wirkliche Wahl, denn das gibt es doch nicht: die Wohnung, die zu einem passt. Meistens hat jemand, den man nicht kennt, nie kennenlernen wird, für einen eine Auswahl getroffen: Er hat einen Boden ausgewählt und die Fliesen im Badezimmer und in der Küche und meistens tat er dies nicht aus optischen Erwägungen, sondern aus finanziellen. Wenn man Glück hatte, hat er einem auch eine Küche in die Wohnung gestellt, eine Küche, die funktionieren mag – mehr aber auch nicht. Sie passte halt, sie passte vom Platz und von den finanziellen Möglichkeiten, aber die ästhetischen Möglichkeiten wurden nicht ausgeschöpft, nicht ein bisschen.

In solchen Wohnungen lebte man dann, früher nannte man so etwas Mietskasernen, und es gibt eigentlich keinen Grund, warum dieser Begriff heute nicht mehr passen sollte, vielleicht passt er heute sogar besser als damals, denn wenn man diese Mietskasernen verlassen hat, um zum Beispiel einzukaufen, dann sah man auf der Straße die anderen Uniformierten, die sich in Treu und Glauben dem Korpsgeist unterwarfen. Alles war uniformiert, die Kleidung ebenso wie die Gedanken und die Meinungen und die Haltungen.

Die Uniform der Mietkaserneninsassen bestand, so fern es sich um männliche Insassen handelt, aus zu engen Jeanshosen, aus Turnschuhen, die man Sneakers nannte, aus T-Shirt, deren V-Ausschnitt sich beachtlich dem Schritt näherten. Als Jacke dienten entweder so genannte College-Jacken, schlecht sitzende Sakkos oder Parkas, die ironischerweise die Uniformiertheit der männlichen Mietkaserneninsassen unterstrich. Auf eine Frisur im herkömmlichen Sinne wurde verzichtet, wer konnte, ließ sich einen Bart stehen, obligatorisch war eine Brille mit dickem schwarzen Rahmen, und zwar auch für die, die keine Sehschwäche hatten. Abgerundet wurde das Ganze schließlich durch einen Jutebeutel, auf dem bestenfalls irgendwas Versautes stand.

Auch nach drei Jahren in der Hauptstadt: Die Landeier bleiben provinziell

Die weiblichen Mietkaserneninsassen waren in ihrer Heruntergekommenheit nicht gar so schäbig – furchtbar waren sie aber allemal. Von ihrer jugendlichen Bulimie war nur noch eine mittelmäßige Essstörung geblieben, die reichte aber, um im Sommer mit so genannten Hot Pants durch die Gegend zu laufen, wobei das „hot“ bei den meisten dieser Frauen fragwürdig gesetzt war. Ansonsten schafften sie es, Jeans zu kaufen, die noch enger waren als die der Männer, lieber aber trugen sie Röcke, eng und kurz, denn Sexyness war in ihrer Definition ein emanzipatorischer Wert an sich. Die Haare trugen sie meist lang und offen, eine Sonnenrille sollten ihnen jenes Geheimnisvolle geben, was sie nie hatten. Die Schuhe waren entweder sehr sehr hoch, oder sehr sehr flach, die Oberteile meistens eng.

Die Tatsache, dass die meisten der weiblichen Mietkaserneninsassen aus westdeutschen Dörfern mit wenigen Straßen kamen und sie sich deshalb in einer Großstadt nicht wirklich zurecht fanden, überspielten sie mit einer Mischung aus Naivität und Kampfeslust. Auch nach drei oder vier Jahren in Berlin staunten sie immer noch darüber, das auf Straßen Autos fuhren und das man sich nicht mitten auf eine Straße stellen konnte, um mal ein bisschen zu plaudern. Zu Hause, vor dem Hof der Eltern, war das doch möglich.

Das Interesse der weiblichen und männlichen Mietkaserneninsassen schwankte vor allem zwischen Kunst und Mode, obwohl sie von beidem keine Ahnung hatten. Politik war eher ein diffuses Gefühl, Gudrun Ensslin war immerhin eine Stilikone, Andreas Baader ein lässiger Hund, doch das reichte nicht zum Links werden. Medien, Design, Werbung – das alles versprach kreativ zu sein und erst um 9 Uhr aufstehen zu müssen, was zur Folge hatte, dass die weiblichen und die männlichen Mietkaserneninsassen bis in die Nacht die Straßen bevölkerten, in denen ich wohnen musste.“

Ob ich jetzt allerdings ein Befürworter oder ein Gegner der Gentrifizierung bin, habe ich noch nicht herausgefunden.

Matthias Kalles Buch „Normal hält das“ erscheint in diesen Tagen bei Ullstein Extra

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