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Meinung: Gerecht so!

Die Deutschen bleiben reformfähig, pochen aber auf eine faire Verteilung der Lasten

Das Volk hat gesprochen und die Bosse schäumen. „Aus Sicht der Wirtschaft“ sei das Wahlergebnis „bitter enttäuschend“, klagt Jürgen Thumann, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Und beinahe unisono tönen die Ökonomen des Arbeitgeberlagers vom schlimmen „Reformunwillen“ der Deutschen (Thomas Meyer, Deutsche Bank) oder der „Angst vor Reformen“ bei den Wählern. (Michael Hüther, Institut der deutschen Wirtschaft).

Unwillen? Angst? Reformfeindlichkeit? Wer so redet, hat von den Motiven für dieses Votum herzlich wenig verstanden. Zu behaupten, die Deutschen seien mehrheitlich gegen Veränderungen, ignoriert die enormen Anpassungsleistungen, die in diesem Land seit Jahren erbracht werden. Die stetig wachsenden Leistungsanforderungen in zahlreichen Branchen, der ständige Druck zur weiteren Qualifikation, seit Jahren stagnierende oder gar sinkende Reallöhne – mit all dem demonstrieren die Deutschen massenhaft ihre stete Bereitschaft, persönlich zum wirtschaftlichen Erfolg des Landes beizutragen. Und ganz gewiss gibt es auch eine Mehrheit für einen zukunftsfesten Umbau des Steuer- und Sozialsystems, bei dem die notwendigen Lasten auf alle fair verteilt werden.

Doch eben das war bei dieser Wahl gar nicht im Angebot. Stattdessen präsentierte Schwarz-Gelb einen „Reform“-Katalog, der weitgehend der Wunschliste des BDI entsprach. Weniger Kündigungsschutz, Aushöhlung der Tarifverträge, Mehrwertsteuererhöhung, Kopfpauschale und die Flat Tax à la Kirchhof: Das verhieß der großen Mehrheit lediglich sinkende Einkommen und Sozialleistungen. Die weit kleinere Zahl der Besserverdiener und Vermögenden durfte dafür auf sinkende Steuern und Sozialabgaben hoffen. Wie nur konnten die Unionsstrategen auf die Idee kommen, dieses Programm sei mehrheitsfähig?

Rot-Grün dagegen entdeckte gerade rechtzeitig zum Wahlkampf wieder die sozialdemokratische Tugend der gerechten Verteilung. Nur so gelang Gerhard Schröder ja auch in letzter Minute die Rettung seiner Partei vor dem Absturz in den 20-Prozent-Graben, indem er die Konkurrenz als „radikal unsozial“ brandmarkte und das alte Spiel vom kleineren Übel inszenierte.

Dumm nur, dass er zugleich für seine „Agenda“-Politik werben musste, bei der es alles andere als fair zuging. Vielmehr lief sie darauf hinaus, die Steuergeschenke für Unternehmen und Reiche mittels Kürzungen bei den Arbeitslosen und Sozialversicherten zu finanzieren. Die Rechnung ging am Ende nicht auf, aber im Empfinden der Wähler ist schon der Versuch strafbar. Nur wegen dieses strategischen Fehlers hat die SPD über zwei Millionen Stimmen an eine Linkspartei verloren, die absurderweise erklärt, sie wolle gar nicht regieren.

Doch mit genereller Reformfeindschaft hat das nichts zu tun. Hätte Rot-Grün nach schwedischem Vorbild die Sozialreformen mit einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes oder der Wiedereinführung der Vermögensteuer begleitet, wäre Schröder das langsame Ergrauen im Amt sicher gewesen. Deutschland ist reformierbar, selbst wenn es wehtut. Aber gerecht muss es zugehen. Das ist die Botschaft dieses Wahlresultats — auch wenn es dem BDI nicht gefällt.

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