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Meinung: Geschichte im Zeitraffer

Mehr als zehn Jahre lang eskalierte die Gewalt und wurden die demokratischen Rechte missachtet. Nun sind Vertreter der serbischen und der albanischen Kosovaren ins Parlament von Pristina zurückgekehrt.

Mehr als zehn Jahre lang eskalierte die Gewalt und wurden die demokratischen Rechte missachtet. Nun sind Vertreter der serbischen und der albanischen Kosovaren ins Parlament von Pristina zurückgekehrt. Wer hätte das vor zwei oder vor fünf Jahren für möglich gehalten?

Die Eröffnung des unter UN-Aufsicht gewählten Parlaments ist in mehrfacher Hinsicht ein historisches Datum. Im Zeitraffer hat die Region eine extreme Entwicklung durchlaufen. Anfang der 90er Jahre hatte der serbische Autokrat Slobodan Milosevic die Autonomie für die albanische Mehrheit im Kosovo aufgehoben. Es folgte ein Apartheid-Regime; und schließlich der "Befreiungskampf" der albanischen Rebellen. Vor zweieinhalb Jahren fielen Bomben der Nato auf Jugoslawien, um Belgrad zum Rückzug aus der ehemals serbisch kontrollierten Provinz zu bewegen.

Die schwierige Arbeit der Versöhnung und der Vergangenheitsbewältigung wird lange dauern - und sie hat noch nicht einmal begonnen. Um so größer ist die Bedeutung dieses Tages, an dem Vertreter der verfeindeten Volksgruppen nach einer vergleichsweise demokratischen Wahl friedlich in einem Parlamentssaal Platz nehmen, um über Politik zu debattieren. Das geschieht zwar noch unter der internationalen Aufsicht der UN-Verwaltung, aber der erste Schritt ist getan.

Die Demokratie fällt freilich auch im Kosovo nicht vom Himmel. Alle reden von Demokratie und von europäischen Werten. Diese haben bisher allerdings nur auf die Sprache abgefärbt, aber noch kaum den Umgang miteinander verändert. Der Eklat in der konstituierenden Sitzung des neuen Kosovo-Parlaments macht deutlich, dass der Weg zu gelebter Demokratie noch ein langer sein wird. Alle Beteiligten werden versuchen, die Spielregeln auszureizen.

An diesem Montag kam es auf das Symbol des historischen Neuanfangs an. Danach aber geht es um Alltagspolitik. Die Parlamentarier müssen sich in ihren Debatten auf die Lösung der konkreten Probleme konzentrieren. Armut und Arbeitslosigkeit treffen alle, unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit. Der Kampf gegen die soziale Misere, für die Sicherheit aller Kosovaren und für den Aufbau von tragfähigen Institutionen muss Vorrang haben.

Wenn diese Bemühungen Fortschritte bringen, werden Fragen, die derzeit den Blick auf die Zukunft versperren, in den Hintergrund rücken. Verzögerungen oder gar Stillstand sind dagegen programmiert, wenn Serben und Albaner Zeit mit den "nationalen Fragen" verlieren. Beide Seiten dürfen sich nicht in den Streit um den künftigen Status der Kosovo-Provinz verbeißen. Die Mitglieder des neuen Kosovo-Parlaments haben es also zum großen Teil selber in der Hand, wie schnell die friedliche Konfrontation der Argumente Alltag und der bewaffnete Kampf Vergangenheit wird.

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