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Meinung: Gesetz und Moral

Berichterstattung zum Fall Magnus Gäfgen Natürlich sollen auch auf schwerste Straftäter rechtsstaatliche Prinzipien angewandt werden. Aber Schmerz ist ein subjektives Gefühl.

Berichterstattung zum Fall Magnus Gäfgen

Natürlich sollen auch auf schwerste Straftäter rechtsstaatliche Prinzipien angewandt werden.

Aber Schmerz ist ein subjektives Gefühl. Was fühlt ein Mensch, der einen ihm bekannten Jungen mit eigenen Händen erwürgt hat, anschließend weiter Lösegeld erpresst hat und nach „erfolgreicher“ Tat doch festgenommen worden ist?

Ist der „Schmerz“, unter dem Herr Gäfgen heute noch zu leiden angibt, nicht eher der Ärger, dass er sich zu einem Geständnis hat bewegen lassen?

Es ist schwer nachvollziehbar, wie sich der Schmerz, den Herr Gäfgen dem Opfer und seinen Eltern zugefügt hat, ihm weiter offenbar so wenig zusetzt, dass er seine zwar rechtmäßige, dennoch schamlose Klage auf Schmerzensgeld so dreist verfolgt.

Wie war der Schmerz, den er seinem Opfer zugefügt hat? Ist der Schmerz der Eltern seines Opfers zu ermessen?

Professor Jürgen Baumann (ehemals Justizsenator in Berlin) vertrat in seiner Strafrechtsvorlesung in Tübingen den Standpunkt, als Strafrechtler müsse man als erstes den gesunden Menschenverstand vergessen. Das überzeugt mich.

Ute Trillmich, Berlin-Dahlem

Nach Pressemitteilungen wurde der umstrittene Entschädigungsanspruch Gäfgens vom Gericht damit begründet, dass die Polizeibeamten die Menschenwürde des Entführers durch eine Folterandrohung schuldhaft verletzt hätten. Befürworter der Gerichtsentscheidung verweisen auf Artikel 1, Absatz 1, Satz 1 des Grundgesetzes, wo es heißt: „ Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Der folgende Satz aber lautet: „Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Unterstellt man, dass die Folterandrohung als der einzige erfolgversprechende Weg erschien, um Leben und Menschenwürde des gefangen gehaltenen Opfers zu retten, so stand der Polizeibeamte vor der Frage, welches Verfassungsgebot er nun verletzen solle: die Würde des Täters zu verletzen oder die Menschenwürde des Opfers zu schützen. Auch in der Grundrechtecharta der Europäischen Union besteht eine nicht aufgelöste Spannung zwischen dem ausdrücklichen Folterverbot und dem ebenso klaren Gebot, die unantastbare Menschenwürde zu schützen. Offensichtlich gibt es Konflikte, für welche die Rechtsnormen keine zweifelsfreie Lösung bereithalten, so dass man im vorliegenden Fall die Entscheidung dem Gewissen des Polizeibeamten überlassen musste, ob ihm die Menschenwürde des Täters oder jene des Opfers als schutzwürdiger erschien. Dann freilich könnte man die Folterandrohung schwerlich als schuldhafte Pflichtverletzung ansehen.

Prof. Dr. Dr. Reinhold Zippelius,

Erlangen

Für unsere beziehungsweise europäische Rechtsprechung haben die Rechte des Täters Vorrang vor der Würde und den Rechten des Opfers. Beides muss man in diesem Fall im Zusammenhang sehen, denn hätte der Täter nicht die Rechte des Opfers verletzt, hätte es keine Folterandrohung gegeben.

Zum Zeitpunkt, als dem Mörder Folter angedroht wurde, mussten die Beamten davon ausgehen, dass das Opfer noch lebt und psychischer Folter ausgesetzt und sein Leben in höchster Gefahr war. Sein Leben – als höchstes Gut – galt es zu schützen. Ist das Recht auf Leben nicht im Grundgesetz verankert? Das Opfer hat sich nicht freiwillig der Gewalt ausgesetzt, sondern diese ist vom Täter ausgeübt worden. Das Opfer musste diese Gewalt mit dem Leben bezahlen. Der Täter – zumal Student der Rechtswissenschaft – wusste, was er tat. Er musste sich keiner Folterandrohung aussetzen, hätte er den Aufenthaltsort auf Nachfragen freiwillig bekannt gegeben. Wie kann er für sich Rechte beanspruchen, die er seinem Opfer versagte?

Renate Genz, Berlin-Lankwitz

Wenn ich lese, wie die rechtsstaatliche Justiz mit einem der widerlichsten Verbrecher dieses Landes umgeht, dann suche auch ich um Schadenersatz nach: denn, mir wird physisch übel, ich bekomme bei diesen Nachrichten Magenschmerzen und dafür steht auch mir (und jedem anderen, der so empfindet) Schmerzensgeld zu. Juristisch kann man jedes Urteil begründen (siehe Nazi-Justiz-Urteile), was aber der Richter seinen nicht-juristischen Mitbürgern zumutet, wenn er mit diesem Urteil gesunden Menschenverstand und Gerechtigkeitssinn ausschaltet, das führt unweigerlich zu großem Vertrauensverlust in die Obrigkeit und davon haben wir im Lande längst schon zu viel.

Dr. Wolfgang Wohlleben,

Berlin-Wilmersdorf

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