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Gesundheitspolitik: Die Diagnose ist falsch

Der Gesundheitsfonds belohnt Krankheit, nicht Gesundheit – und da liegt das Problem.

Da ist sie also wieder, die leidige Debatte um den Gesundheitsfonds. Für die einen ist die Geldsammelstelle der Kassen die Essenz alles Bösen. Und die anderen verweisen gequält darauf, dass es sich nun mal um ein Prestigeobjekt der Kanzlerin handle, von dem man sich nun nicht so einfach wieder verabschieden könne.

Letzteres ist natürlich kein Argument. Die Dämonisierung aber ist genauso peinlich. Mit ihren Warnungen vor einer Monsterbürokratie haben sich die Fundamentalkritiker längst selber desavouiert. Tatsache ist, dass bisher kaum eine neue Behörde auf Anhieb so gut und unbürokratisch funktioniert hat wie der beim Bundesversicherungsamt angesiedelte Fonds. Zudem hat das geschmähte Konstrukt viele Vorteile. Es hat die Folgen der Finanzkrise von den Krankenkassen ferngehalten, die sonst längst ihre Beiträge hätten erhöhen müssen. Es hat Fusionen forciert, mit denen sich Verwaltungskosten sparen lassen. Und es hat den Missstand beseitigt, dass Kassen, die sich auf junge Gutverdiener spezialisierten, fein raus waren, während denen mit alter und beitragsschwacher Klientel hinten und vorne das Geld fehlte.

Das alles mag man beklagen, wenn man will. Aber man sollte die Bürger nicht für dumm verkaufen und ihnen erzählen, dass der Fonds verantwortlich sei für das Milliardendefizit. Der Grund ist ein ganz anderer: steigende Ausgaben durch medizinischen Fortschritt, alternde Bevölkerung und Selbstbedienung bei gleichzeitigem Einnahmeverlust durch die Krise. Arbeitslose zahlen nicht nur geringere Beiträge, sie werden auch häufiger krank.

Das Schlimme an dem schiefen Gezänk ist, dass es den Blick auf das eigentliche Problem verstellt. Der Fonds hat nämlich sehr wohl einen Konstruktionsfehler. Im Bemühen um fairen Wettbewerb orientieren sich alle Verteilmechanismen nun nur noch an einem: der Versorgung von Kranken. Wer mehr Patienten hat, erhält mehr Geld. So lohnen sich chronisch Kranke nicht mehr nur für Arzt, Apotheker, Klinik und Arzneihersteller. Durch den gut gemeinten Risikoausgleich sind nun sogar die Kassen an möglichst maladen Mitgliedern interessiert. Wer Patienten und Versicherte dagegen schnell wieder gesund bekommt oder zu einer Lebensweise anhält, die sie seltener krank werden lässt, geht leer aus. Wozu also Präventionsprogramme, gute Reha, aktivierende Pflege, Qualitätskontrolle? Das ist nur teuer – und schmälert die Einnahmemöglichkeiten.

Um die Kosten des Systems in einer alternden Gesellschaft im Griff zu behalten, muss es darin auch Akteure geben, die ein Interesse an weniger Kranken haben. Bislang waren das neben den Kassen vor allem die Arbeitgeber. Doch auch die sollen sich nach schwarz-gelbem Willen nun zunehmend aus Parität und Verantwortung schleichen dürfen. Dabei sind die Gebrechen mit den höchsten Zuwachsraten, psychische Erkrankungen und Rückenleiden, stark mit der Arbeitswelt und ihren Bedingungen verbunden.

Statt sich die Zähne an einer funktionierenden Behörde auszubeißen, sollten die Koalitionäre lieber auf der entscheidenden Frage herumkauen: Wie lassen sich mehr Anreize zur Gesunderhaltung der Bürger setzen – ohne dass dabei die qualitativ hochwertige und solidarisch finanzierte Versorgung der Kranken unter die Räder kommt?

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