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Meinung: Gewerkschaft und Geschenke Der Kampf allein um Lohnprozente ist überholt

Am 17. März 2004 feiert der erste Vorsitzende der IG Metall einen besonderen Geburtstag: Er wird 60.

Am 17. März 2004 feiert der erste Vorsitzende der IG Metall einen besonderen Geburtstag: Er wird 60. Da liegt es nahe, dass ihm der Sozialpartner ein schönes Geschenk machen will: Einen Tarifabschluss, der die Arbeitskampfniederlage um die Arbeitszeit im Osten vergessen macht, der die Auseinandersetzung um die Tarifautonomie beendet und der vor allem eins belegt: Die IG Metall ist wieder da und hat ihre Krise überwunden. Denn der Chef der Metallarbeitgeber, Martin Kannegiesser, hat nie Zweifel daran gelassen, dass eine dauerhaft geschwächte IG Metall ihm das Geschäft erschwert.

2003 wird als Horrorjahr in die Geschichte der deutschen Gewerkschaften eingehen. Der Mitgliederschwund konnte nicht gestoppt werden, der politische Einfluss sank dramatisch. Geradezu fassungslos beobachteten die Gewerkschafter, wie ihr Bundeskanzler Gerhard Schröder die Agenda 2010 durchzog – ohne Rücksicht auf Verluste. Irritiert über den Kurs des klassischen Bündnispartners Sozialdemokratie fanden Klaus Zwickel, Frank Bsirske und Hubertus Schmoldt kein Mittel gegen die offensichtliche soziale Schieflage in Schröders Reformpaket. Die Gewerkschaften, einst Triebfeder des sozialen Fortschritts, landeten mit dem Image der Bremser im Abseits.

IG Metall-Chef Zwickel versuchte im Juni noch die Kurve zu kriegen, nachdem „eine deutliche Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder sich nicht an unseren Aktivitäten gegen die Agenda 2010 beteiligt hat“. Zwickel, der über viele Jahr den Ton angab, zog eine erstaunliche Schlussfolgerung. „Wenn also die Mitte dort ist, wo sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wiederfinden, dann wollen wir in die Mitte.“ Einige Wochen später war Zwickel weg, nachdem er den Machtkampf gegen seinen damals designierten Nachfolger Peters verloren hatte.

Ein etwas besseres Jahr hatte Zwickels wichtigster Kampfgefährte, Verdi-Chef Bsirske. Denn er hat immerhin seinen noch immer unter Fusionsnachwehen leidenden Laden im Griff und wurde im Herbst mit einem guten Ergebnis wiedergewählt. Aber bei Schröder ist Bsirske unten durch. Mit Indiskretionen nicht zuletzt aus dem Kanzleramt hat es die Politik geschafft, Bsirske als den Oberblockierer in die Ecke zu stellen.

Um ein besseres Image bemühen sich die Gewerkschaftsbosse am besten in ihrem Kerngeschäft, der Tarifpolitik. Hier können sie sich als innovative Kräfte neu bewähren. Die IG Metall in den kommenden Wochen, wenn die Tarife für 2004 ausgehandelt werden. Und wenn es dabei um weitere Spielräume für die Betriebe bei der Arbeitszeit geht. Der Kampf um Lohnprozente allein ist überholt. Mit noch differenzierteren Tarifen, die die Vielfalt der Bedürfnisse in der individualisierten Gesellschaft abbilden, können die Gewerkschaften attraktiver werden.

Und wie in der Gesellschaft geht es auch in den Arbeitsbeziehungen zunehmend um Bildung: Wie lassen sich lebenslanges Lernen und „gesunde“ Arbeitsprozesse so regeln, dass die Beschäftigten wirklich bis 65 arbeiten können? Ohne Aus- und Weiterbildung haben die Arbeitnehmer keine Chance auf Teilhabe am Wandel und Wohlstand. Wenn die Gewerkschaften auf diesem Feld tarifpolitisch punkten, gewinnen sie auch wieder Einfluss in der Debatte über die große Frage: Wie gestalten wir den Strukturwandel und die Sozialsysteme gerecht?

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