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Meinung: Gier kennt keine Grenzen

Der Tod Jakob von Metzlers, das Strafrecht und der Opferschutz

Von Gerhard Mauz

RECHTSWEGE

Dieter Speck, 54, ist fraglos ein Diplom-Psychologe hohen Ranges, sonst hätte Herta Däubler-Gmelin, sie war damals noch Bundesjustizministerin, nicht ein Buch mit dem Titel „Sexueller Missbrauch" zusammen mit ihm verfasst. In „Bild" fordert Speck „Vergewaltiger hinter Gitter" und zwar „für immer". Resozialisierung und Therapie machten überhaupt keinen Sinn. „Stattdessen muss das Opfer therapiert werden." Resozialisierung und Therapie seien „pure Geldverschwendung".

Speck sagt: „Bei den Urteilen stehen bisher häufig die Täter im Vordergrund. Das ist falsch! Die Opfer müssen in den Vordergrund gestellt werden." Er meint, Richter seien zu zurückhaltend: „Sie schöpfen fast nie das Höchstmaß der möglichen Strafe aus." Sie seien „viel zu sozial, sie müssen richtig durchgreifen". Wie Speck kann man über das Motiv des mutmaßlichen Mörders von Jakob von Metzler grübeln – mutmaßlich, obwohl er die Ermittler dorthin geführt hat, wohin er die Leiche des Kindes gebracht hatte. Ist das Motiv des Magnus G., eines 27 Jahre alten Jurastudenten, rätselhaft? Sprechen wir bei dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen nicht mehr von Habgier. Über die kann man philosophieren. Sprechen wir von Geldgier. Über die kann man nicht philosophieren.

Die Dritte Gewalt hat spät, zu spät begriffen, dass es nicht in erster Linie um die Verletzung des Staates und seiner Gesetze geht, wenn sie richtet, sondern um die Menschen, denen die Straftat zugefügt wurde. Die Opfer und ihre Angehörigen beginnen endlich den Platz einzunehmen, der ihnen gehört. Doch gibt es Strafen, die zugleich dem Opfer und dem Täter gerecht werden? Die Urteile sollen den Opfern gerecht werden und ihren Angehörigen helfen weiterzuleben. Und zugleich müssen sie es dem Täter ermöglichen, zu erkennen, was er getan hat, und seine Tat auf sich zu nehmen. Um der Opfer und der Angehörigen willen muss ein Weg gefunden werden – darf aus dem opferfeindlichen Strafrecht nicht das Gegenteil werden: ein Strafrecht, das im Hass auf den Täter die Angehörigen des Opfers in ihrem Leid festhält.

Die Rechtsprechung durch unabhängige Gerichte ist der größte Versuch, den die Menschen neben dem Versuch religiöser Deutungen des Lebens unternommen haben, um ein Miteinanderleben in leidlichem Frieden zu ermöglichen. Heute stehen die Lehren der Religion nicht neben dem, was die Gerichte befinden, sondern weit dahinter. Widmet ein Geistlicher bei der Beerdigung eines Opfer auch dem Täter ein Wort, so wagt es mancher von ihnen nur unter Tränen.

Geld regiert die Welt, sagt man, so geschieht Entsetzliches um nichts als des Geldes willen. Dass der Mensch zu allem fähig ist, wissen wir. Und dies wird gewiss nicht das letzte Mal sein, dass es eine Grenze gibt, über die ein Mensch um des Geldes willen geht. Der mutmaßliche Täter prüfte bei den Banken, ob die erpressten Geldscheine gesperrt sind. Und er zahlte auf einen Mercedes an und buchte einen Flug auf die Kanaren.

Mit der Mutter des Täters hat der „Stern" gesprochen. Da findet sich ein Satz, dem wir alle in unseren Fürbitten beistehen sollten: „Der Magnus, den ich geliebt habe, ist tot. Für den anderen Magnus, der im Gefängnis sitzt, muss ich jetzt da sein."

Gerhard Mauz ist Autor des „Spiegel“. Foto: Dirk Reinartz

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