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Meinung: Gift für Berlin

Nicht Sarrazins Streichliste schadet der Stadt, sondern die Untätigkeit des Senats

Von Lorenz Maroldt

Ganz Berlin erregt sich – aber worüber? Die „Giftliste“ ist kein Sparvorschlag des Senats. Sie ist das seelenlose Produkt einer Verwaltungsmaschinerie, die von Taschenrechnern regiert wird. Die Stadt aber wird ja von Menschen regiert, und die sagen dazu, wie SPD-Chef Peter Strieder, wie Petra Pau von der PDS, wie der Regierende Bürgermeister: Nein, so nicht!Niemand hat die Absicht, einen Tierpark zu schließen!

Aber: Kann man das glauben? Und: Wird die Stadt wirklich regiert?

Die Liste aus der Finanzverwaltung hat ein Gutes: Sie sagt viel aus über den Zustand Berlins, den finanziellen und den politischen. Die Reaktionen auf die Liste sind interessanter: Sie offenbaren das ganze Desaster.

Sparen, bis es quietscht – diese Parole gab der Regierende Bürgermeister vor Jahresfrist aus. Dann schaffte es der Senat nicht, seinen ersten Haushalt korrekt abzuschließen – das Ziel wurde um mehrere hundert Millionen Euro verfehlt, scheinbar folgenlos. Seitdem regiert nur noch die Hoffnung: auf Hilfe vom Bund, zur Not mit Unterstützung des Verfassungsgerichts. Die neue Losung lautet: Berlin ist pleite – na und? Außerdem: Sparen ist ja nicht alles. Das allerdings stimmt. Nur kann man das so oder so verstehen.

Seit der Affäre um die Bankgesellschaft ist klar, dass Berlin es alleine, also ohne zusätzliche Bundeshilfe in Milliardenhöhe, nicht schaffen kann. Aber freiwillig wird der Bund die benötigten Milliarden nicht nach Berlin schieben, und bis das Land ihn über den Umweg nach Karlsruhe zwingen kann, werden noch viele Jahre ins Land ziehen. Und viele Etatverhandlungen. Genauso viele Giftlisten. Nur wird dann bald nicht mehr die Frage sein, welche Punkte einer solchen Liste verfolgt, welche gestrichen werden. Dann bleibt keine andere Wahl, als dem Finanzsenator zu folgen.

Der Senat hat sich bis heute um eine grundsätzliche Antwort davor gedrückt, was unbedingt finanziert werden soll und was wegfallen kann. Dabei geht es nicht um ein Schwimmbad, einen Zoo, eine Oper mehr oder weniger. Es geht um eine Definition der öffentlichen Aufgaben, klar und transparent. Es geht um eine Festlegung auf das Erhaltenswerte und dessen Verteidigung. Wer die Zukunft der Stadt an den Universitäten vermutet, darf nicht jedes Jahr aufs Neue die Zahl der Studienplätze zur Disposition stellen. Aber er muss darauf dringen, dass die Hochschulen effizienter werden, innovativer, überraschender, einladender, erfolgreicher, attraktiver. Der Senat hat es versäumt, die Stadt auf den tiefgreifenden Wandel vorzubereiten, der kommen muss. Das ist nicht nur eine Frage des Geldes, sondern auch der Mentalität, der Überzeugungskraft, des Vorbilds. Wer Strukturen in der Verwaltung verändern will, darf darüber nicht nur reden, sondern muss handeln. Wer sein Eigentum vermarkten will, muss wissen, was er besitzt. Bis heute nutzt die Verwaltung auf obszön verschwenderische Weise öffentliche Immobilien. Bis heute hat niemand einen Überblick, welche Flächen und Gebäude dem Land gehören und wie sie genutzt werden – und niemand verfolgt einen Plan, das zu ändern.

Man kann dem Senat getrost glauben, dass er diese Giftliste in der Tonne versenkt. Man muss damit rechnen, dass der eine oder andere Vorschlag demnächst wieder hervorgeholt wird. Man darf nur nicht glauben, dass der Senat einen Plan verfolgt. Ganz Berlin erregt sich? Zu Recht. Aber über das Falsche.

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