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Meinung: Gipfel des Kleinmuts

Europäischer Rat in Brüssel: ein Gruppenfoto und unerfüllte Sehnsucht

Wäre es nicht manchmal doch ganz schön, wenn in der Politik die Gesetze der Marktwirtschaft gelten würden? Nur ausnahmsweise. Zum Beispiel das Gesetz von Angebot und Nachfrage. Selten war die Nachfrage nach Europa so riesig. Wer sonst soll Amerikas Übermacht in der Weltpolitik etwas entgegensetzen? Leider hält das Angebot, das Europa zu machen hat, damit nicht Schritt. Gemessen an der Nachfrage, fällt es derzeit ziemlich bescheiden aus.

Da treffen sich die Staats- und Regierungschefs der EU zum Frühjahrsgipfel in Brüssel, doch die Themen, die auf der Tagesordnung stehen – Sozialpolitik, Wettbewerbsrecht, Kontrolle der Finanzmärkte, Abstimmungsregeln bei der Europäischen Zentralbank – liegen im Schatten der Aufmerksamkeit. Gewiss, auch zu der Frage, die alle Welt bewegt, wird sich der Gipfel laut äußern – und doch kaum Gehör finden. Denn der Eindruck bleibt: Europa hat da wenig zu sagen.

Das liegt am Kriegsbeginn? Auch. Aber nicht zuerst. Den Berliner Gipfel vor vier Jahren hatte ebenfalls ein Kriegsbeginn überschattet, damals im Kosovo. Was die hohen Politiker aber nicht hinderte, die Agenda 2000 mit den schwierigen Aspekten Finanz- und Agrarpolitik auszuhandeln. Und Medien und Bürger nicht abhielt, sich damit zu beschäftigen. Daran hing die Ost-Erweiterung der EU, Sie fragten nicht nur nach dem Krieg.

Diesmal ist alles anders. Nicht weil sich Europa in einer weniger spannenden Phase befindet. Die Erweiterung steht kurz vor dem Abschluss, in diesen Wochen stimmen Malteser, Slowenen, Ungarn, Polen über die Verträge ab. Und der Konvent berät über die künftige Verfassung, wozu die Ausformung einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik gehört. Deren Fehlen sich gerade so schmerzlich zeigt. Doch das Thema Konvent wurde von der Agenda gestrichen, der Gipfel auf ein Abendessen und einen Vormittag reduziert, für Freitagmittag ist bereits das Abschlussfoto geplant. Mehr traut sich Europa nicht zu.

Der wahre Unterschied zum Berliner Gipfel: Im Kosovo war sich Europa in der Kriegsfrage relativ einig. Im Irak sind die Regierungen gespalten – auf eine Weise, die das Klima vergiftet. Das zeigte die Tonlage zwischen dem französischen Außenminister de Villepin und seinem britischen Kollegen Straw. Und nun sollen auch noch ausländische Geheimdienste EU-Büros abgehört haben, womöglich gezielt die der Kriegsgegner Frankreich und Deutschland. Wenn es so war, steckt wohl kaum China dahinter.

So kleinmütig ist die Stimmung, dass kaum jemand fragt, wie denn eine gemeinsame Stellungnahme der EU zum Irak aussehen könnte. Vor dem Gipfel spekulierten Beobachter darüber, ob überhaupt alle Staats- und Regierungschefs anreisen. Und ob Präsident Chirac und Premier Blair, die Anführer der gegnerischen Lager, sich zu einem Vier-Augen-Gespräch treffen.

Alle wissen: Europa muss sich befreien aus dieser Unfähigkeit, internationale Politik zu beeinflussen. Sie wissen aber auch: Das gelingt nur, wenn Europa in entscheidenden Fragen der Außenpolitik mit einer Stimme spricht. Dieses Wunder kann der Gipfel nicht vollbringen. Die Nationalstaaten sind in Verhaltensweisen zurückgefallen, von denen viele glaubten, sie seien dank der fortschreitenden Integration schon halb überwunden. In Frankreich macht sich trotziger Gaullismus breit: Europa soll sich als Gegenmacht zu Amerika konstituieren. Tony Blairs Modell ist entgegengesetzt: Zur Weltmacht aufsteigen wird die EU nicht gegen, sondern nur im Konsens mit den USA.

Eines immerhin wird der Gipfel anbieten, was dringend gefragt ist: humanitäre Hilfe und Wiederaufbau für den Irak. Ein kleiner Anfang neuer Gemeinsamkeit.

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