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Ein ukrainischer Soldat springt am Dienstag von einem in Kämpfen mit Separatisten stark beschädigten Panzer.

© Reuters

Gipfel in Minsk: Gutes kommt nicht von allein

70 Jahre nach Jalta sollte der Ukrainekonflikt nicht auf Kosten anderer gelöst werden. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Mit der Zeit siegt das Gute, werden Angreifer bestraft und widerfährt dem Opfer, das sich heute der Gewalt beugen muss, Gerechtigkeit. So begründete Angela Merkel in München ihre Russlandpolitik. Sie setze auf strategische Geduld und Sanktionen. Gegen den Bau der Berliner Mauer 1961 habe es kein verantwortbares militärisches Mittel gegeben. 1989 fiel sie, ganz Mitteleuropa erlebte eine gewaltlose Befreiung von kommunistischer Diktatur.

Der Ukrainegipfel in Minsk stellt diese Zuversicht auf die Probe. Er fällt auf den 70. Jahrestag der Konferenz von Jalta. Dort besprachen Churchill, Roosevelt und Stalin 1945 die Aufteilung Europas. Was folgte, stützt auf den ersten Blick eher die Gegenthese: Ist eine Seite zu gewaltsamer Unterdrückung entschlossen, hat das Gute keine Chance. Es kam erst mal schlimmer als vereinbart. Nicht nur die Tschechoslowakei und die Baltischen Staaten fielen, wie von Stalin gefordert, in den sowjetischen Machtbereich. Auch Ungarn und Jugoslawien, die neutral bleiben sollten, wurden kommunistisch. Ebenso Polen, über das keine Einigung erzielt wurde. Churchill und Roosevelt vertrauten darauf, dass die bürgerlichen Kräfte dort die große Mehrheit bilden. Stalin setzte aufs Militär, wie sein Vertrauter Milovan Djilas berichtete: Jeder führt sein System ein, so weit seine Armeen kommen.

Wo bleibt da Raum für Hoffnung?

Was lehrt das für den Gipfel in Minsk? Die Entwicklung in der Ukraine erinnert an Jalta. Es kann schlimmer kommen, ehe es – vielleicht, irgendwann – besser wird. Ein Waffenstillstand und seine Bedingungen wurden bereits im September 2014 in Minsk vereinbart. Doch wie weiland Stalin setzt Putin darauf, dass seine Armeen seine Ziele erzwingen, so weit sie kommen. Weil die Separatisten mit Unterstützung des russischen Militärs vordringen, muss man sich erneut zusammensetzen und den Russen weitere Zugeständnisse machen. Ehrlicherweise gibt Merkel zu, sie habe keine Garantien, dass es nicht mehrfach so weitergeht.

Wo bleibt da Raum für Hoffnung? Heute ist nicht zu sehen, wie in der Ukraine – und in den eingefrorenen Konflikten in Georgien, Moldawien, im Kaukasus sowie Berg-Karabach – das Gute die Oberhand gewinnen soll. Es stimmt: Auch die Ordnung von Jalta, die Teilung Europas, wurde 1989 überwunden: 44 Jahre später, ein halbes Menschenleben. Der Preis für die Betroffenen war hoch. Unzählige Verbrechen geschahen im Stalinismus, unzählige Biografien wurden verkrümmt. Im Westen darf man gewiss sagen: Immer noch besser als ein Krieg. Aber das sagt sich leichter, solange es um das Leid von anderen geht.

Das Gute siegt zudem, wenn es sich überhaupt durchsetzt, nicht von selbst. Man muss etwas dafür tun, das Unrecht benennen, die gewaltsamen Gewinne nicht anerkennen. Erst dank der Mischung aus glaubhafter Abschreckung, ökonomischer Überlegenheit und kluger Diplomatie kollabierte das Unrecht von Jalta. Werden Merkel und ihre Nachfolger neben Hoffnung und Geduld diesen strategischen Willen haben?

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