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Meinung: Glänzendes Ruhekissen

Der Regierung geht es so schlecht, dass die Union jetzt sogar konstruktiv werden will

Von Robert Birnbaum

Was macht eigentlich gerade die Union? Sagen wir es mal so: Weil sie findet, dass sie es verdient hat, sonnt sie sich im Glanze unverdienten Glücks. Das Glück ist unverdient, weil CDU und CSU nichts dafür tun müssen, dass sie auf der Sonnenseite stehen. Schatten wirft die Regierung im Übermaß auf sich selbst. Trotzdem herrscht in der Union das Gefühl, diesen Zustand verdient zu haben – als Genugtuung für einen entgangenen Wahlsieg. Beim Ex-Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber klingt der beleidigt-hämische Ton aus jedem Satz. Im Konrad-Adenauer-Haus haben sie gar einen alten Slogan Peter Hintzes ausgegraben, der das Gefühl gut trifft: „Jammert mir nichts vor, ich habe CDU gewählt.“

Nun wäre das weiter nicht problematisch, würde es sich absehbar um einen vorübergehenden Zustand handeln. Wahlverlierer brauchen aus therapeutischen Gründen eine Phase trotziger Rechthaberei. Diese sind aber drauf und dran, sich als Krisengewinnler wohlig einzurichten. Die Landtagswahlen in Hessen und Niedersachen versprechen eine Bestätigung, in Bayern im Herbst wird die CSU nicht viel zittern müssen. Von da ist es nicht weit zur Neuauflage des Adventskalenderspruchs der Vorwahlzeit: In ein paar Tagen ist der rot-grüne Spuk vorbei.

So ist es aber nicht. Klügere haben das erkannt, ein Kluger wie Wolfgang Schäuble hat es ausgesprochen: Kritik reicht nicht; in Dauer und Form überzogene Kritik führt dazu, dass die Wähler plötzlich den Kritiker übler finden als den Kritisierten. Dies umso eher, je mehr sich die Überzeugung breit macht, dass Deutschland wirklich in der Krise steckt. Die Frage, wer Recht hat, ist eine Luxusfrage. Menschen, die sich vom ökonomischen Abstieg bedroht sehen, wollen Lösungen, notfalls Notlösungen.

Schäuble weiß das, die CDU-Partei- und Fraktionschefin Angela Merkel weiß es auch. Ihr Problem ist, dass das erste Interesse jeder Opposition darin bestehen muss, den Unmut über die Regierung vier Jahre lang am Köcheln zu halten. Der nahe liegende Weg, in einer Art informellen großen Koalition anstehende Reformaufgaben gemeinsam zu stemmen, scheidet also aus. Derzeit fährt die Unionsspitze eine anspruchsvolle Doppelstrategie: Einerseits fundamentale Kritik, andererseits das Bemühen, in kompromissfähigen Einzelfragen wie dem Hartz-Paket verantwortungsvolles Mitgestalten unter Beweis zu stellen. Das ist nicht dumm. Es fehlt aber ein drittes Element. So wenig die Regierung für ihr Tun und Nicht-Tun eine Überschrift findet, so wenig hat die Union eine klare Linie. Gefragt sind nicht Jahrhundert-Schlagzeilen wie im Kalten Krieg der Großsysteme. Gefragt sind Visionen mittlerer Reichweite. Wie wollen, wie können wir im kommenden Jahrzehnt leben? Was wollen und müssen wir erreichen, auf was wollen und müssen wir verzichten?

Diese Antworten muss, wie Schäuble zu Recht bemerkt, eine Opposition nicht auf jede Einzelfrage parat haben, aber bei den wirklich wichtigen. Davon ist die Union weit entfernt. Sie hat nicht einmal einen unstreitigen Katalog der Fragen, die sie für wichtig erachtet. Reform der Sozialsysteme, demographischer Wandel, Steuerreform – geschenkt. Aber ist Umwelt wichtig? War Zuwanderung nur Modethema?

Die Gefahr ist nicht klein, dass CDU und CSU sich an solchen Antworten gar nicht erst versuchen. Die müssten ehrlicherweise nämlich unbequem ausfallen. Sie sollten auch nicht nur in Kommissionen ausgetüftelt und in Parteiprogramme geschrieben, sondern tief in der Basis verankert werden. Das ist mühsam, das weckt Widerstände. Aber es ist nötig. Die Union ist noch keine überzeugende Alternative. Sie kann es werden.

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