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Meinung: Glauben sie, was sie wollen

Das neueste Kopftuch-Urteil zeigt: Schulen können keine religiös neutralen Orte sein

Mit dem Kopftuch hat sich die Integrationsrepublik Deutschland ein Problem an den Hals gebunden, das seinesgleichen sucht. Vor Gericht, an Schulen, in Behörden, bei der Arbeit: Darf eine Frau ein Kopftuch tragen, wenn sie dies als religiöses Bekenntnis versteht? Amts-, Land- und Oberlandesgerichte, Bundes- und Landesverfassungsgerichte, Verwaltungs- und Arbeitsgerichte entscheiden jetzt alles bis hin zur skurrilen Frage, wie religiös es rüberkommt, wenn muslimische Lehrerinnen Baskenmützen tragen. Ein Geflecht aus Regeln, Verboten, Ausnahmen und widersprüchlichen Urteilen, das ratlos macht. Ganz besonders am Herzen liegen der Justiz dabei die Schulen. Als ob es nicht mit allen Dingen im Leben so wäre, dass sie unsere Kinder beeinflussen, gilt der Kontakt zur Religion als exzeptionell heikel.

Nun hat das Bundesverwaltungsgericht ein überraschendes Urteil gefällt: Lehrerinnen kann das Kopftuch verboten werden, Lehramtsanwärterinnen dagegen nicht. Für sie wäre das Verbot eine Beschränkung ihrer Berufsfreiheit, da nur der Staat Lehrkräfte ausbilden darf. Das bedeutet, dass Musliminnen mit Kopftuch nichtmuslimische Kinder unterrichten werden, ob es nun diesen, anderen Lehrern und Eltern passt oder nicht. Und wenn sich, was nicht ausgeschlossen ist, gläubige Musliminnen für diese Ausbildung entscheiden, wird die Frau mit Kopftuch vor der Tafel für Schüler ein zwar gelegentlicher, nicht aber ungewöhnlicher Anblick. Auf ihr Kopftuch verzichten müssen sie erst, wenn sie Beamtinnen werden.

Man kann es auch so sagen: Das in verschiedenen Bundesländern, auch in Berlin, nach dem Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2003 erdachte Konzept strikter Lehrer-Neutralität ist gescheitert. Schulen sind keine Orte, die sich und die dort Versammelten vor religiösem Leben abschirmen dürfen. Religion und Integration findet dort nicht nur als Stoff für Lehrpläne statt, sondern als lebendige Praxis, nach dem Klingeln und in der Pause ebenso wie auf dem Schulflur oder im Lehrerzimmer.

Das zur Kenntnis zu nehmen, bedeutet nicht, Probleme herunterzuspielen. Der hohe Anteil „bildungsferner“, vulgo: armer Kinder, ob deutsch oder nichtdeutsch, stellt dramatische Anforderungen. Es wäre weit besser, hier an den Stellschrauben zu drehen, durch Investitionen und Personal, als Scheinlösungen durch Kulturverbote zu produzieren – besonders in Berlin. Schulsenator Zöllner kämpft derzeit einen aussichtslosen Kampf vor Gericht, Schülern sogar noch das Beten zu verbieten. Zugleich wird man sich aber jetzt eingestehen müssen, dass zur Regel wird, was im Gesetz noch als Ausnahme steht: dass Referendarinnen ihr Kopftuch behalten dürfen.

Verbote und Regularien beherrschen die Köpfe, die Wirklichkeit hinkt hinterher. Bislang wollte keine (!) Frau mit Kopftuch in Berlin Referendarin werden. Wenn denn eine kommt, sollte man es locker nehmen. Die Einzigen, die dringend mal das Kopftuch ablegen müssten, sind wir Deutschen.

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