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Meinung: Glück gehabt

Die Seuche Sars konnte schnell eingedämmt werden. Die Angst war dennoch berechtigt

Von Alexander S. Kekulé

WAS WISSEN SCHAFFT

Die erste globale Seuche des zwanzigsten Jahrhunderts wurde mit einem bravourösen Feldzug niedergeschlagen. Nie zuvor haben Wissenschaftler rund um den Globus so offen kommuniziert, noch nie so schnell einen neuen Virustest entwickelt. Noch nie hat die chinesische Regierung eine Katastrophe so schonungslos eingestanden, nie war die Weltgesundheitsorganisation (WHO) so effizient. Kann sich die Menschheit also künftig gegen neue Seuchen gewappnet fühlen?

Mitnichten – je mehr Details bekannt werden, desto deutlicher wird, wie knapp die Welt an einer Katastrophe vorbeigekommen ist. Dass die in Südchina seit November verheimlichte Epidemie überhaupt entdeckt wurde, verdankt die WHO einer Verkettung glücklicher Zufälle. Einer davon ist, dass im Februar zwei Menschen in Hongkong an dem gefürchteten VogelgrippeVirus „H5N1“ erkrankten, das 1997 erstmals ausgebrochen war und damals nur durch Tötung von rund 1,4 Millionen Hühnern gebannt werden konnte. Deshalb herrschte unter Seuchenexperten bereits Alarmstufe Rot, als Gerüchte über den Ausbruch am südchinesischen Meer auftauchten: Wochenlang waren im Internet merkwürdige Anfragen nach Gesichtsmasken, Desinfektionsmittel und dem Grippemittel Tamiflu aufgetaucht. Hinzu kam, dass wegen des bevorstehenden Irakkriegs alle Welt mit biologischen Anschlägen rechnete. Ohne diese besondere Situation hätte es die WHO Mitte März möglicherweise nicht gewagt, den in ihrer Geschichte einmaligen Alarm auszulösen.

Auch eine Eigenschaft des Sars-Virus hat die erfolgreiche Eindämmung der Epidemie befördert: Da die Krankheit meist bereits nach wenigen Tagen und mit voller Wucht ausbricht, konnten Infizierte schnell isoliert werden. Glücklicherweise war zudem die kalte Jahreszeit gerade zu Ende, so dass Sars nicht mit Influenza oder gewöhnlichen Erkältungen verwechselt werden konnte. Schließlich tat das Sars-Virus den Forschern den Gefallen, sich anhand eines nur wenig variablen Teils seiner Erbinformation einfach nachweisen zu lassen – bei einem Hepatitis-C- oder Aids-ähnlichen Erreger hätte die Entwicklung des Tests wesentlich länger gedauert. Sars wird gerade leicht genug übertragen, um eine erkennbare Epidemie auszulösen, ist aber längst nicht so infektiös wie Grippe oder Windpocken. Jedoch reichten die weltweit rund 8400 Patienten bereits aus, um die Gesundheitssysteme in den betroffenen Regionen über ihre äußersten Grenzen zu strapazieren – bei einem nur etwas infektiöseren Erreger wäre die medizinische Versorgung mit Sicherheit zusammengebrochen. Für Gesundheitswächter und Katastrophenschützer war Sars deshalb eine ideale Generalprobe für den wirklichen Ernstfall, ein Kampftraining mit dem Gummischwert.

Dabei sind auch gefährliche Schwachstellen zu Tage getreten, etwa im interkontinentalen Flugverkehr und bei der Begrenzung psychologischer und wirtschaftlicher Nebeneffekte einer Epidemie. Wie keine Seuche zuvor hat Sars auch die Schwächen föderativer Gesundheitssysteme aufgezeigt: Da in den USA und Kanada Kommunikationspannen, einen Wirrwarr von Zuständigkeiten und widersprüchliche Anweisungen an der Tagesordnung waren, denkt man jetzt über eine Stärkung zentraler Strukturen zur Seuchenbekämpfung nach. Das hatten Fachleute schon lange vergeblich gefordert – auch Viren können manchmal nützlich sein.

Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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