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Meinung: Gnade nicht vor, sondern nach dem Recht

Ohne Reue und Einsicht darf Christian Klar nicht begnadigt werden Von Friedbert Pflüger

Am 18. Januar 1987 rief mich der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit im Bundespräsidialamt an. Er habe Weizsäckers Weihnachtsansprache bemerkenswert gefunden, besonders dessen Satz „Gnade ist eine Stütze der Gerechtigkeit“. Weizsäcker hatte dies im Blick auf den seit Jahrzehnten in Spandau einsitzenden Rudolf Heß geäußert. Cohn-Bendit will nun wissen, ob Gnade auch für die Angehörigen der RAF denkbar sei, sofern sie sich von ihren Taten distanziert hätten. Zwei Tage später übermittele ich Weizsäckers Antwort: Der Präsident habe Interesse gezeigt und bekundet, dass jeder Gnadenentscheidung eine ernsthafte Einzelfallprüfung vorausgehen müsse. Dabei dürften Häftlinge aus dem terroristischen Bereich weder privilegiert noch benachteiligt werden.

Ein Jahr später erreichen den Bundespräsidenten zwei Gnadenanträge der Ex-Terroristen Angelika Speitel und Peter-Jürgen Boock, beide zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Weizsäcker hat die Pflicht, die Anträge zu prüfen. Er bespricht sich ausführlich, sammelt Informationen, zum Beispiel bei den Strafvollzugsbehörden. Schließlich trifft er sich mit Speitel und Boock in Privathäusern in Köln und Hamburg. Begleitet von einer erregten öffentlichen Debatte, unterschreibt der Präsident am 8. März 1989 einen Gnadenerweis für Frau Speitel mit Wirkung zum 30. Juni 1990. Im Falle Boock verweigert sich der Präsident. Ich war damals vehement für den Gnadenerweis für Frau Speitel, da sie ihre Schuld eingestand und sich eindeutig von der RAF distanzierte.

Auch heute bin ich davon überzeugt, dass Gnade selbst bei Mördern eine wichtige Ergänzung der Rechtsprechung sein kann. Die Chance auf neue Einsicht, der Anspruch auf Hilfe und Neuanfang sollen diejenigen haben, die ihren Taten ins Auge sehen, wirklich bereuen und keine Gefahr mehr für die Gesellschaft darstellen. Terroristen morden für absolut gesetzte politische oder religiöse Ziele. Sie sind gnadenlos. Der freiheitliche Rechtsstaat ist es nicht. Aber Gnade kann Recht nur ergänzen, sie darf nicht in Gegensatz zu ihm geraten. Gnade kommt nicht vor dem Recht, sondern nach dem Recht, nämlich dann, wenn die Haltung des Täters dies erlaubt.

Ist das so bei Christian Klar? Bisher gibt es in seinen Äußerungen nichts, was einen Gnadenerweis legitimieren könnte. Es gibt kein Buch, keinen Aufsatz, kein Interview, in dem er sich zu seinen Taten und dem Leid, das sie verursachten, bekannt hätte. Was genau war Klars Rolle bei den Morden? Wir wissen bis heute nicht, ob er es war, der vom Motorrad aus 1977 die tödlichen Schüsse auf Siegfried Buback abfeuerte. War er es, der so brutal Hanns-Martin Schleyer aus nächster Nähe „hinrichtete“? Wer erschoss die Fahrer und Sicherheitsbeamten?

Wer aber Gnade will, der muss zunächst seinen Verbrechen ins Auge blicken. Ohne Wahrheit gibt es keine Gnade! Seit 24 Jahren schweigt Klar über die grausamen Einzelheiten der Taten, die er und seinesgleichen verübten. Er hat nie zur Aufklärung und Aufarbeitung beigetragen.

Aber vor allem: Kann es Gnade ohne echte Distanzierung, ohne Reue, ohne eine Vergebungsbitte an die Familien der prominenten und nichtprominenten Opfer geben?

In einem soeben im RBB wiederholten Interview aus dem Jahr 2001 wird Christian Klar von Günter Gaus gefragt, ob er Reue empfinde. Reue, so die Antwort, sei „im politischen Kampf kein Begriff“. In einem Gutachten des Psychologen Helmut Kury heißt es nun, Klar hätte sich mittlerweile mit der „Opferperspektive“ beschäftigt. Das klingt wenig überzeugend, ist jedenfalls weit entfernt von tätiger Reue.

Es ist wahr: 24 Jahre Gefängnis sind eine unvorstellbar lange Zeit. Aber die Zeitspanne der Haft kann alleine kein Kriterium für die Gewährung von Gnade sein. Hinzu kommen müssen Wahrheit und Bedauern. Wenn wir nicht noch wesentlich Neues erfahren, darf Christian Klar nicht begnadigt werden.

Der Autor ist Vorsitzender der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Von 1981–1989 war er enger Mitarbeiter von Richard von Weizsäcker.

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