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Günter Grass: Mit seiner Kritik an Israel hat er international eine Debatte ausgelöst.

© dpa

Grass' Israel-Gedicht: Deutschland braucht keine weitere Holocaustdebatte

Mit seinem kritischen Gedicht gegenüber Israel gibt Günter Grass dem Land einen Anlass, den Konsens gegen den Antisemitismus zu erneuern. Zudem: Antisemiten und Rassisten gilt es auszuhalten.

Die Pfeife. Das Tweedsakko. Das Bücherregal. Die Holzskulpturen auf der Fensterbank – und Tom Buhrow von der ARD: Bei Günter Grass zu Hause finden sich die Accessoires eines linksintellektuellen juste milieu. Wann gab es das schon, die „Tagesthemen“ bei einem Interviewpartner zu Hause? Eine seltsame mediale Ehrerbietung für einen, der in Gedichtversen vom weltfriedensbedrohenden Israel faselt und dem in der Öffentlichkeit kaum einer zustimmt. Der Hausbesuch als Mittel zur Selbstverständigung der Nation?

Zum Glück gibt es ihn, den Grass-kritischen Konsens. Manche Dinge verstehen sich in Deutschland von selbst, man kann es getrost eine zivile Errungenschaft nennen. Dazu gehören das Frauenwahlrecht und die Ablehnung der Todesstrafe genauso wie die des Antisemitismus.

Sehen Sie in der Bilderstrecke: Fotos aus dem Leben und Wirken des Günter Grass

Grass nennt den Konsens „gleichgeschaltete Presse“. Gleichschaltung, das Wort entstammt ebenso der Nazi-Terminologie wie die im Gedicht befürchtete „Auslöschung“ oder der von den Juden angeblich bedrohte „Weltfrieden“. Seine Nobelpreisträger-Kollegin Herta Müller sagte zu Recht – und wer, wenn nicht sie, hätte die Autorität dazu –, es handele sich weniger um Literatur als um einen Artikel. Was die Zeilen und Grass’ TV-Auftritte jedoch offenbaren, sind die im kollektiven Unbewussten dümpelnden Aggressionen und Ressentiments. In ARD und ZDF präsentierte Grass ein Best-of der German Angst, quer durch die Jahrzehnte. Die Nazi-Zeit als nachhaltige Prägung bricht sich in seiner Wortwahl Bahn, die Zeit der Gruppe 47 im eifrig beteuerten Antifaschismus, die Schattenseite von ’68 im plumpen linken Antisemitismus, der sich als freundschaftliche Israelkritik tarnt. Und die apokalyptischen Szenarien der 80er hallen im Menetekel eines Supergaus wider. Er sagt Fukushima, seine Monologe erinnern jedoch an die Anti-Akw- und die Friedensbewegung.

Und es sind Monologe. Für ein Gespräch ist Grass zu selbstgerecht, davon konnte jeder Fernsehzuschauer sich überzeugen. Monologe, in denen die Angst-Partikel offen daliegen und sich zu wirren Sätzen fügen. Dass ein Literaturnobelpreisträger so schlampig mit Worten und deren Bedeutungs- und Erinnerungspotenzial umgeht, wundert einen dann doch.

Nein, die Republik braucht keine weitere Holocaustdebatte. Das ist das Beruhigende an der scharfen Zurückweisung von Grass’ angeblichem Tabubruch, endlich kritisch über Israel als Atom- und Besatzungsmacht reden zu wollen. Das geschieht andauernd, ohne antisemitische Töne. Die Zustimmung, die er trotzdem erlebt, in Kommentaren im Schatten der Öffentlichkeit, erinnert an die Resonanz auf Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“. Sie macht auch deutlich: Es wird immer Bornierte in Deutschland geben, Antisemiten, Ausländerfeinde, Rassisten, Sexisten, in allen Generationen und nicht nur unter Rechtsradikalen. Das gilt es auszuhalten. Manchmal muss der zivile Konsens erneut gegen sie verteidigt werden. Auch ein schlechtes Gedicht kann ein guter Anlass dafür sein.

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