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In den USA gingen tausende Menschen auf die Straßen, um den Tod Osama bin Ladens zu feiern.

© Reuters

Kontrapunkt: Griff in die Speichen

Wer sagt, ein Christ dürfe sich nicht freuen über die Tötung eines Feindes der Menschheit, spricht ihm das Recht ab, aktiv für Frieden zu streiten. Bin Laden ist tot. Darf man sich darüber freuen?

Ein Terrorist erklärt der zivilisierten Welt den Krieg. Er schickt Attentäter los, die mit entführten Passagierflugzeugen in Hochhäuser rasen und rund 3000 Menschen ermorden. Die Blutspur seines Netzwerkes zieht sich über den ganzen Globus - von Bali bis Madrid, London bis Djerba, vom Irak bis in den Jemen. Ob Christen, Juden, Muslime oder Ungläubige: Keiner kann sich mehr sicher fühlen, jeden kann es treffen. Nach zehn Jahren gelingt es, diesen Terroristen zu töten und damit unschädlich zu machen. Das löst bei einigen Menschen Freude aus. Diese Freude wiederum verdrießt einige andere Menschen. Hier sind sie:

- Papst-Sprecher, Federico Lombardi: "Der Tod eines Menschen ist für einen Christen niemals Grund zur Freude."

- Renke Brahms, Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD): "Ich würde die Tötung bin Ladens nicht mal als Erfolg bezeichnen."

- Jörg Schönenborn, WDR-Kommentator: "Was ist das für ein Land, das eine Hinrichtung derart bejubelt?"

- Michael Bongardt, Ethikprofessor an der Freien Universität Berlin: "In der Demokratie gibt es sehr genaue Regeln, wie man mit Verbrechern umgehen muss. Dazu gehört die Verurteilung vor einem Gericht. Deshalb ist die Art seines Todes noch ein Grund weniger, sich zu freuen."

- Hubertus Lutterbach, Theologieprofessor an der Universität Duisburg-Essen: "Ich finde es sehr befremdlich, dass eine stark christlich geprägte Kultur sich so etwas zu eigen macht."

- Philipp Gessler, taz-Kommentator: "Wer aber den Tod eines Menschen bejubelt, befleckt sich selbst."

- Peter Strutynski, ein Sprecher der Friedensbewegung: "Wenn die Tötung eines Menschen, wie groß auch seine Verbrechen sein mögen, von westlichen Politikern mit Erleichterung aufgenommen und gefeiert wird, begeben sie sich auf ein Niveau derjenigen Terroristen, denen ein Menschenleben nichts wert ist."

Ein Christ tritt für Frieden und die Bewahrung der Schöpfung ein. Wer den Frieden zerstört und die Geschöpfe Gottes vernichten will, macht sich zum Gegner der Heiligen Schrift. Kaum einer wusste das besser als der evangelische Pfarrer, Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer. In klarer Anspielung auf Adolf Hitler sagte er bereits 1933: "Wenn ein Betrunkener mit dem Auto fährt, genügt es nicht, das Opfer unter dem Rad zu verbinden, man muss dem Rad selbst in die Speichen greifen."

Dem Rad selbst in die Speichen greifen: Damit würdigte Bonhoeffer auch das spätere Attentat auf Hitler. Weil elementare Menschenrechte bedroht gewesen seien, hätten die Widerständler rund um Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg eine notwendige und zu lobende Entscheidung getroffen.

Ist nicht auch der Widerstand gegen die islamistische Terror-Tyrannei nicht nur erlaubt, sondern gar eine humanitäre Pflicht? Macht sich nicht jeder durch Untätigkeit mitschuldig, der einen Osama bin Laden gewähren lässt?

Wenige Wochen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 antwortete der Erzbischof von Köln, Joachim Kardinal Meisner, auf die Frage, ob es erlaubt sei, den Al-Qaida-Chef zu töten: "Das ist die Frage, die sich auch die Helden des 20. Juli 1944 stellten: Darf man Hitler umbringen? Was wäre uns bloß erspart geblieben, wenn dieses Attentat erfolgreich gewesen wäre! Es geht um die Frage: Muss ich die Menschheit vor so einem Unmenschen bewahren, der nur Tod, Hass und Verderben bringt? Aus meiner Sicht wäre es das Beste, Osama bin Ladens habhaft zu werden und ihn anzuklagen. Aber wenn das nicht möglich ist, bleibt der Tyrannenmord die letzte Möglichkeit. Und dass das möglich ist, zeigt die Geschichte."

Als Mose seine Hand übers Meer reckte und das Wasser wiederkam, um die gesamte Streitmacht des Pharao zu ertränken, "dass nicht einer aus ihnen übrig blieb": Freute sich da nicht das Volk, das er aus der Knechtschaft geführt hatte?

Als David aus seiner Hirtentasche einen Stein nahm, ihn Goliath an die Stirn schleuderte und tötete, als er anschließend zu dem Philister ging, dessen Schwert nahm und ihm den Kopf abschlug: Freuten sich da nicht die Männer Israels und Judas?

Für Christen ist das Zeugnis der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments die alleinige Richtschnur für Lehre und Leben. Wer sagt, ein Christ dürfe sich nicht freuen über die Tötung eines Feindes der Menschheit, spricht ihm das Recht ab, aktiv für Frieden und die Bewahrung der Schöpfung zu streiten. Niemand freut sich über den Tod an sich. Aber Erleichterung zu empfinden, wenn die Ursache einer mörderischen Gefahr beseitigt wurde, ist weder unethisch noch unchristlich. Im Gegenteil: Es zeugt von einem Gewissen, das noch intakt ist.

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