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Meinung: Großbritannien: Ein Jongleur am Abgrund. Tony Blair wird siegen - danach muss er fast Unmögliches tun: Versprechen einlösen

Die Briten werden morgen, am Donnerstag, wie erwartet zum zweiten Mal Tony Blair wählen. Doch sie tun es mit spürbar weniger Begeisterung.

Die Briten werden morgen, am Donnerstag, wie erwartet zum zweiten Mal Tony Blair wählen. Doch sie tun es mit spürbar weniger Begeisterung. Niemand wird freudetrunken in die Brunnen am Trafalgar Square springen, schon gar nicht Tony Blair. Nüchtern und bescheiden tritt er die zweite Labouramtszeit an. Denn er weiß, dass die vor vier Jahren abgegebenen Versprechungen nicht erfüllt sind. Und er ahnt wohl auch, dass ihre Umsetzung schwerer, vielleicht unmöglich sein wird.

Der Wahlkampf war, trotz Labours Hochglanzwerbung, eine rigorose Bestandsaufnahme von vier Jahren Regierungsarbeit. Unterm Strich fiel sie negativ aus. Es gab Erfolge, vor allem im wirtschaftlichen Bereich. Aber bei den großen nationalen Aufbauarbeiten im Bildungsbereich, im Gesundheitssystem, im Verkehr, bei der Bekämpfung der Armut liegt noch immer vieles im Argen. Die Gesundheitsausgaben sind in den ersten drei Labourjahren, prozentual gemessen am Nationaleinkommen, noch unter die Marge der Tory-Zeit gesunken - und das in einer wirtschaftlichen Schönwetterperiode.

Wenn Labour verspricht, binnen drei Jahren die maximale Wartezeit für die Krankenhausbehandlung von 18 auf 6 Monate zu senken, kann dies deutschen Lesern nur ein erstauntes Schaudern über den Rücken jagen. Es war der Wählerauftrag an Blair, nach 18 konservativen Regierungsjahren den öffentlichen Bereich, die britische Gesellschaft als Kollektiv und Solidargemeinschaft zu reparieren. Heute ist es, als hätte Labour dieses Projekt kaum in Angriff genommen.

Kein Wunder, dass man heute von der damals mit so viel Fanfaren hinausposaunten Politstrategie des "Dritten Weges" so wenig hört. Doch Blair selbst hat das Programm im März in einem langen, blumigen Aufsatz noch einmal erneuert: Es ging ihm um das Versprechen einer "historischen" Aussöhnung von Wirtschafts- und Sozialpolitik. Dabei sollen die Dynamik eines neoliberalen Wirtschaftsindividualismus und die sozialdemokratisch-europäischen Werte von Solidarität und sozialem Ausgleich irgendwie beide Geltung haben. Oder, wie die Briten das Versprechen verstanden haben: ein Sozialstaat nach europäischem Muster, der mit amerikanischen Steuern finanziert wird.

Blairs "Dritter Weg" verspricht jedem, was er hören will. Kein Wunder, dass nun der "Economist" und sogar die "Times" Blair als den besten Vertreter einer thatcheristischen Politik unterstützt: wenig Staat, niedrige Steuern. Der "Guardian" dagegen legt seinen Lesern die Wahl Blairs als des radikalen Reformers ihrer öffentlichen Dienste ans Herz. Blair selbst verspricht, die britischen Gesundheitsleistungen auf europäisches Niveau zu heben. Aber er hat auch das Gelöbnis wiederholt, die Einkommensteuern auf ihrem gegenwärtigen Niveau zu halten.

Doch das wird nicht so einfach. Vor allem nicht, wenn das Wirtschaftswachstum nachlässt und 2004 die Staatseinnahmen nicht mehr ausreichen, um das geplante Ausgabenwachstum zu finanzieren. Noch ist Blair wie ein Jongleur, der alle Bälle gleichzeitig in der Luft hält. Ein Illusionist, der salbungsvolle Reden über große Visionen hält und darüber vergessen machen will, dass sich die reale Politik nur in Trippelschrittchen fortbewegt. Aber den Briten geht es nicht nur zu langsam. Sie fürchten, dass der Jongleur die Bälle nicht mehr allzu lange in der Luft halten kann und sich die Zauberformel vom "Dritten Weg" nur als Methode erweist, den Wählern unangenehme Fragen und harte Entscheidungen zu ersparen. Eine Mogelpackung eben.

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