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Meinung: Große Koalition nach Bedarf

Wem die Klage gegen den Berliner Landeshaushalt nützt

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Spät kommt die Klage. Um Jahre zu spät, so dass die Richter nur noch das Offensichtliche feststellen können: Der Berliner Landeshaushalt ist verfassungswidrig. Und auch das ist kurios: Ein schwarz-grünes Bündnis macht mit Hilfe der FDP jetzt wahr, was die Opposition früher immer nur angedroht hatte – und besorgt mit dem Gang vor das Landesverfassungsgericht unfreiwillig das Geschäft der Regierung.

Denn was wird geschehen? Der Berliner Verfassungsgerichtshof wird den beschlossenen Doppelhaushalt gewiss nicht kippen; wohlwissend, dass es derzeit keine Alternative zum Schuldenmachen gibt. Das Gericht wird die Verfassungswidrigkeit des Haushalts amtlich feststellen, aber neben den selbst verschuldeten Strukturproblemen die teilungs- und hauptstadtbedingten Ursachen würdigen. Vielleicht haben die Richter sogar den Mut, im Urteil explizit auf die extreme Finanznotlage Berlins hinzuweisen und damit der Hauptstadt eine Steilvorlage zu geben: Berlin bekäme elegant den Ball zugespielt, um in Karlsruhe – mit einer gewissen Aussicht auf Erfolg – die Solidarität des Bundes und der Länder einzuklagen. Der rot-rote Senat müsste, wenn es so kommt, der bürgerlich-alternativen Opposition dankbar sein.

Andere, am wirklichen Leben orientierte Gründe, eine Normenkontrollklage gegen den Landesetat anzustrengen, gibt es nicht. Nur rechtstheoretisch ist es interessant: Wer in zwei Jahren fast zehn Milliarden Euro neue Schulden anhäuft, aber nur vier Milliarden Euro für Investitionen ausgibt, verletzt geradezu provokativ ein bundesweit gültiges Verfassungsgebot. Der Staat darf Kredite nur aufnehmen, um in die Zukunft zu investieren oder eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abzuwehren. Dem gehorcht Berlins Finanzpolitik schon seit Jahren nicht mehr. Kann sie aber auch nicht, weil die Hauptstadt tief in der Schuldenfalle steckt. Die Nettokreditaufnahme dient inzwischen allein dem Zweck, die Liquidität der öffentlichen Hand sicherzustellen.

Die Zahlen liegen auf dem Tisch, wie es so schön heißt. Deshalb macht auch Finanzsenator Thilo Sarrazin keinen Hehl daraus, dass sein Haushaltsplan nicht den Verfassungsvorschriften genügt. Und ausgerechnet die CDU, die noch Mitte der neunziger Jahre eine Politik des locker sitzenden Geldbeutels favorisierte, macht jetzt gemeinsame Sache mit den kameralistisch strengen Grünen. Die Union hat offenbar aus ihren Fehlern gelernt und leistet tätige Reue. Nur merkwürdig, dass die Sozialdemokraten so reserviert auf die Klage reagieren – mit Ausnahme des angriffslustigen, mutigen Sarrazin. In großer Not muss man doch nicht ängstlich reagieren.

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