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Länger als nötig sollte diese Koalition nicht regieren, meint Lorenz Maroldt.

© dpa

Große Koalition: Was dieser Regierung fehlt, ist der Widerspruch

Die neue Bundesregierung ist zu breit aufgestellt, zu wenig gefährdet, um wirklich gut zu sein. Der Koalitionsvertrag ist ein Schönwetterpapier ohne Hinweis darauf, was es bedeutet, die Zukunft zu gestalten. Länger als nötig sollte diese Koalition nicht regieren.

Eine Regierung wie diese hat es in Deutschland noch nicht gegeben. Sie hat zwar länger gebraucht als alle Regierungen vor ihr, bis sie endlich antreten konnte, und auch ihr Koalitionsvertrag ist der längste, der je geschrieben wurde. Dafür aber bringt sie das, wofür sie steht, auf den kleinsten denkbaren Nenner mit der größten denkbaren Bedeutung, eingepackt in einen „Aktionsplan“, begleitet von ständiger Evaluierung. Das Vorhaben steht, als Ankündigung und Versprechen, scheinbar bescheiden in Minuskeln geschrieben, so im Koalitionsvertrag: „gut leben“.

Wird diese Koalition funktionieren?

Mehr geht nicht. Aber ist das auch gut? Und: Geht das gut? Dass die Teile dieser Regierung mehr wären als das Ganze, lässt sich allenfalls erahnen. Angela Merkel sagt, die große Koalition stehe für große Aufgaben; Sigmar Gabriel sagt, sie stehe für kleine Leute. Dass beide am Tag der zweiten, nun vorbehaltlosen Unterzeichnung des Vertrages die Urahnen Adenauer und Brandt erwähnen, gibt der schier unerträglich erscheinenden Vernunft, von dem dieses Bündnis getragen wird, auch noch eine historische Note. Für das, was kommt, stehen sie selber, und das ist, laut des Titels des Koalitionsvertrags und damit dieser Regierung: „Deutschlands Zukunft gestalten“.

Es fehlt an Funken im Koalitionsvertrag

Erst im Vergleich mit dem, was über anderen solchen Papieren stand, 2002, 2005, 2009, fällt auf, was da fehlt: irgendein Hinweis darauf, was das bedeutet: die Zukunft gestalten. Tatsächlich findet in diesem Koalitionsvertrag keine Reibung statt, und deswegen fehlt es an Funken. Statt dessen gibt es Präsente für fast jede und jeden, Nazis, Transphobiker, Frackingfans und Liberale einmal ausgenommen. Wofür diese Regierung steht, ist nicht weniger als der Anspruch auf die reine Vernunft. Aber das ist die reine Unmöglichkeit, auch ohne metaphysische Kenntnis leicht festzustellen beim Blick ins Innere des vereinbarten künftigen Geschehens. Der Vertrag ist ein Schönwetterpapier, in dem alles gleich wichtig ist, geschrieben für das Hier und Jetzt, entmündigend staatsfürsorglich.

Sozialdemokratischer Konservatismus ist der Kern dieses Landes

Gut leben können werden die meisten Menschen dennoch mit dieser Regierung; sie haben sie ja auch gewollt, nachweislich aller Umfragen vor der Wahl. Sozialdemokratischer Konservatismus ist der Kern dieses Landes, und er wird größer, so sehr die Ränder – ganz unten, ganz oben – auch ausfransen. Manche mögen noch immer vom vorzeitigen Koalitionsbruch träumen, zu vollziehen nach zwei Jahren, Merkel abwählen mit einer rot-rot-grünen Mehrheit im Bundestag. Aber diese Regierung ist auf die volle Zeit angelegt, für alles andere sind die Sozialdemokraten nach ihrem erfolgreichen Mitgliedervotum zu stolz und die Grünen nach ihrem Eintritt in die hessische Regierung zu schwarz geworden.

Was dieser Regierung fehlt, ist der Widerspruch. Sie ist zu breit aufgestellt, zu wenig gefährdet, um wirklich gut zu sein. Ein Luxusproblem für eine Gesellschaft, der es so gut geht wie dieser. Eine Wohltat nach der vorherigen Koalition. Aber kein Zustand auf Dauer. Gut regieren heißt auch vernünftig regieren. Aber was das ist, vernünftig regieren, kann nicht nur eine Regierung, eine übergroße Koalition im Parlament definieren, auch wenn sie genau dazu neigt. Was da fehlt, in all dieser Vernunft, das ist vielleicht ein Schuss Wahnsinn, eine Idee mehr als das technokratisch und mehrheitlich Nächstliegende. Das kann auch aus der Besinnung auf die eigene Parteiseele kommen, solange sie noch nicht eingetauscht ist gegen ewige Macht. Länger als nötig sollte diese Koalition nicht regieren.

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