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Meinung: Grüne Geisterhand

Wie aus einem Wahlsieg eine Niederlage wurde und aus einem starken Fritz Kuhn ein schwacher

Politiker erwecken gern den Eindruck, als hätten sie alles, was so geschieht, von langer Hand geplant. Das machen sie, um sich den Anschein von Sicherheit und Souveränität zu geben, aber auch, um ein bisschen durchtrieben zu wirken. Die politischen Journalisten tun meist ebenfalls so, als stecke hinter allem eine List, und sie, die Journalisten, würden sie durchschauen. Denn auch wir wollen ja schlau sein. Natürlich stimmt das alles in der Regel nicht. Das meiste in der Politik ist, wie im Leben, weder Strategie noch Taktik, sondern Zufall. Zuweilen ist es aber noch schlimmer. Dann läuft nicht nur alles planlos, reiht sich nicht bloß Zufall an Zufall. Dann sieht es vielmehr so aus, als führe eine Geisterhand die Geschäfte.

Zum Beispiel bei den Grünen. Bis zum 22. September hat alles wie am Schnürchen geklappt. Joschka Fischer und Fritz Kuhn hielten die Wahlkampfzügel in den Händen, kämpften aufopferungsvoll, und Claudia Roth ergänzte das Herrenduett kongenial. Alle waren zufrieden. Zur Belohnung gewannen die Grünen die Wahl.

Von da an ging alles schief, und keiner weiß weshalb. Aus dem Erfolgs- wurde ein Misserfolgsduo, der Sieg verwandelte sich in eine Niederlage. Und das fing schon am 22. September an: Da wollte Fritz Kuhn seinen alten Freund Rezzo Schlauch an die Seite schieben und selbst Fraktionschef werden. Fischer stimmte zu. Mit seinem überehrgeizigen Wunsch aber signalisierte Kuhn nebenher, dass er sich als Parteivorsitzender für ersetzbar hält, was dann später ja auch noch erhebliche Auswirkungen haben sollte. Außerdem hatte das Duo beschlossen, die neuen Fraktionsvorsitzenden erst nach den Koalitionsverhandlungen zu wählen. Auf diese Weise wurden die beiden Fraktionschefs auf Abruf, Schlauch und Kerstin Müller, in den Verhandlungen geschwächt. Und der Start der beiden Neuen, Sager und Göring-Eckardt, dadurch erschwert, dass sie beim großen Hauen und Stechen nicht dabei sein durften.

Als falsch erwies sich im Nachhinein noch, dass die Grünen ihren Wahlsieg nicht in ein viertes Ministerium ummünzen wollten. Sie setzten auf Spiegelstriche im Koalitionsvertrag – der aber, wie sich schnell erwies, für die SPD nur geduldiges Papier war.

Und dann scheiterte beim Bremer Parteitag der Versuch von Kuhn, Roth und Fischer, eine Zwei-Drittel-Mehrheit für die Vereinbarkeit von Amt und Mandat zu erringen, damit die beiden Vorsitzenden ihr Bundestagsmandat behalten könnten. Das Hauptargument der Gegner dieser Satzungsänderung war, dass ein abgeordneter Parteivorstand seine Rolle als Korrektiv des Regierungshandelns kaum würde wahrnehmen können.

Wie um diese These zu beweisen, griff die Geisterhand aufs neue ein und bescherte den Grünen eine derbe Niederlage in der Rentenfrage. Dem Abgeordneten und Parteivorsitzenden Kuhn fehlte es bei den Verhandlungen über 19,3 oder 19,5 Prozentpunkte ganz offenkundig an Abstand zum Koalitionspartner. Aber nicht nur das. Weil Kuhn am Wahlabend selbst das Parteiamt hat wegwerfen wollen, kommt nun die Argumentation nicht mehr so recht an, er sei als Parteichef unersetzlich und die Basis deshalb ultimativ verpflichtet, wenigstens beim nächsten Parteitag im Dezember die von ihm verlangte Mehrheit zu liefern.

Zwischenzeitlich wurde der ganze öffentliche und parteiinterne Frust über zu viel Sozialdemokratismus im Regierungshandeln der Grünen auf Fritz Kuhn projiziert, zum Teil zu Recht, zum Teil, weil einer ja Schuld sein muss. Warum also nicht Kuhn, dem schon seit längerem Arroganz und Härte vorgeworfen werden?

Diese Verkettung unkluger Entscheidungen kluger Leute führt nun dazu, dass Kuhn und Roth überlegen – und überlegen müssen –, ob sie überhaupt noch einmal den Versuch starten, einen Parteitag zu überzeugen. Oder ob sie nicht besser nur Bundestagsabgeordnete bleiben. Und wahrscheinlich ist auch das schon wieder falsch. Denn entgegen Kuhns eigener Auffassung vom 22. September ist das Paar Kuhn und Roth an der Parteispitze kaum zu ersetzen, während sie in der Fraktion eher stören.

Wie das alles gekommen ist, kann man als Journalist erklären. Aber warum es so kam? Manches kommt halt von Geisterhand.

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