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Meinung: Grüne Wahl: Die List der Liste

Wenn die Grünen Joschka Fischer heute - mit mehr oder weniger Team drumherum - zu dem ausrufen, was er sowieso schon ist, nämlich zum Spitzenkandidaten, dann ist das nur mehr eine politische Tautologie. Dass der linke Berliner Landesverband den linken Berliner Christian Ströbele nicht mehr für den Bundestag aufstellt, zeigt: Die Grünen sind so geworden, wie Fischer sie immer haben wollte.

Wenn die Grünen Joschka Fischer heute - mit mehr oder weniger Team drumherum - zu dem ausrufen, was er sowieso schon ist, nämlich zum Spitzenkandidaten, dann ist das nur mehr eine politische Tautologie. Dass der linke Berliner Landesverband den linken Berliner Christian Ströbele nicht mehr für den Bundestag aufstellt, zeigt: Die Grünen sind so geworden, wie Fischer sie immer haben wollte.

Verantwortlich dafür zeichnen Ströbele selbst - und Gerhard Schröder. Der radikale Grüne hat die Partei bei der Abstimmung über den Anti-Terror-Krieg in den Konflikt mit dem Kanzler getrieben, und der hat, anstatt auszuweichen, die Vertrauensfrage gestellt, also nochmal zugespitzt. In der Folge erlebten die Grünen eine letzte schmerzhafte Verwandlung. Auf ihrem Rostocker Parteitag sagte die berüchtigte Basis nicht nur Ja zum Krieg; das hatte sie schon beim Kosovo-Krieg getan. Sie sagte auch Ja zu diesem Ja - sie legte ihr schlechtes Gewissen ab.

Für die deutscheste unter den deutschen Parteien war das eine Kulturrevolution. Zwei Jahrzehnte hatten Grüne immer ein zu schlechtes Gewissen, weil sie nie umsetzen konnten, was sie sich ausgedacht hatten. Und sie hatten ein zu gutes Gewissen, weil sie, die edlen Seelen, stets Himmelmehr wollten als die Altparteien. Nun haben sie ein neues moralisches Maß gefunden. Mit Ströbeles Scheitern wurde die radikale Linke zoologisiert. Doch die eigentliche List der Listenaufstellung besteht in einem folgenreichen Perspektivwechsel: Die PDS wird nicht mehr als Konkurrenz von links angesehen, der man mit Ströbeleien entgegenkommen muss. Sie wird als Bedrohung aus dem Osten begriffen, der man einen Bürgerrechtler wie Werner Schulz entgegenstellt. Ströbele hatte versucht, die PDS bei der Frage "Wer ist der Linkeste im ganzen Land?" zu übertrumpfen. Diesen Wettbewerb gewannen die Postkommunisten erwartungsgemäß. Schulz stellt die Frage: "Wer ist der Kompetenteste und Glaubwürdigste im Osten?" und eröffnet so ein Spiel, bei dem die Grünen wenigstens mittelfristig Chancen auf mehr als fünf Prozent haben. So menschennah und milieufern hat man die hiesigen Grünen zuletzt wahrhaftig nicht gesehen.

Die Schattenseite der Entscheidung besteht darin, dass Andrea Fischer nicht wieder in den Bundestag kommt. Die Ex-Ministerin und Gen-Expertin zählt zu den größten Talenten ihrer Generation - und die Grünen finden für sie offenbar keinen Platz. Man darf gespannt sein, ob die Partei der Nachhaltigkeit doch noch zu einer nachhaltigen Bewirtschaftung ihrer Talente kommt. Abgesehen von solch kruder Kontinuität sind die Grünen auf gutem Weg. Nur der Souverän will den Fortschritt partout nicht honorieren: Die Grünen stehen zu sich, aber die Wähler stehen nicht zu den Grünen. Traurige fünf Prozent verzeichnen die Umfragen. In fast allem ist die Partei nun wie Fischer - außer beim Erfolg. Was hat Fischer bloß, was die Grünen nicht haben? Ganz einfach: Charisma.

Die Realoisierung hat nicht nur die fundamentalistischen Überschüsse abgeschliffen, sondern alle Versuche, das charismatische Surplus der Gründungszeit zu erneuern. Ob es die Ökolibertären um Thomas Schmid waren, die Aufbruch-Gruppe um Antje Vollmer oder das Bündnis 90 um Werner Schulz - für alle außerhalb des grünen Mainstreams und Mahlstroms blieb wenig Platz.

Es fehlt den Parteigängern jedoch nicht nur an Spirit, sondern auch an Programmgewissheit. Wenn man einen Grünen vor vier Jahren in der Nacht aufgeweckt und nach seinen drei wichtigsten Zielen gefragt hätte, dann hätte er mit geschlossenen Augen gesagt: Ökosteuer, Atomausstieg, Zuwanderung. Wenn man heute einen Grünen fragt, dann wird er sagen: Kann ich meinen Publikumsjoker ziehen?

Vielleicht muss das so sein, dass Parteien, deren Gründungsimpuls verhallt, bürokratisch werden. Sie können noch froh sein, wenn da einer ist, der ihnen das Charisma leiht, das er ihnen genommen hat. Bei der Bundestagswahl werden sich die Defizite ohnehin noch nicht rächen. Für sechs bis acht Prozent dürfte ein einziges Argument reichen: Wollt ihr die - oder uns? Die Lebensversicherung der Grünen ist nicht nur ihr Spitzenkandidat, das sind noch zwei andere Herren: Guido Westerwelle und Edmund Stoiber.

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