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Meinung: Grünen-Vorsitz: Mit Mut zum Risiko

Es gibt in der Politik Posten, bei denen es ziemlich egal ist, wer darauf sitzt. Landwirtschaftsminister zum Beispiel war lange Zeit hindurch so ein Amt mit niedrigem Anforderungsprofil - Hauptsache Stallgeruch.

Es gibt in der Politik Posten, bei denen es ziemlich egal ist, wer darauf sitzt. Landwirtschaftsminister zum Beispiel war lange Zeit hindurch so ein Amt mit niedrigem Anforderungsprofil - Hauptsache Stallgeruch. Um Grüne Parteivorsitzende stand es lange Zeit nicht anders - Hauptsache quotentauglich. Das hat sich geändert, in beiden Fällen. Darum hat Renate Künast ihren wichtigen Posten an der Parteispitze mit dem über Nacht noch wichtiger gewordenen Ministeramt vertauscht. Claudia Roth wird ihre Nachfolgerin; ihre Bestätigung durch den Parteitag ist Formsache. Auch die Grüne Basis ist folgsam geworden.

Das ist eine ziemlich mutige Personalie. Von ihr gehen Signale aus. Das stärkste Signal liegt in der Person selbst. Claudia Roth bietet eine Mischung aus Verstand und Engagement, die in der Routine des politischen Geschäftes selten geworden ist. Keine Öko-Grüne im Strickpullover, beileibe nicht. Aber jemand, der für seine Anliegen mit ganzem Herzen ficht und nicht nur mit kühlem Verstand. Darum auch jemand, der seine Themen nicht allein aus kühlem Kalkül wählt. Roth ist Vorsitzende eines weithin unbeachteten Unterausschusses des Bundestages, des Ausschusses für Menschenrechtsfragen.

So was tut sich niemand um der Karriere willen an; nicht einmal und gerade nicht mehr bei den Grünen. Es ist lange her, dass eine Besessene wie Petra Kelly für diese Partei stand. Fundamentale, nämlich auf einem festen Fundament gründende Überzeugungen sind heute auch bei den Ex-Alternativen eher ein Aufstiegshindernis. Umso bemerkenswerter, dass trotzdem Claudia Roth für diese staatsmännisch gealterten Grünen stehen soll.

Nun ist Frau Roth alles andere als naiv oder unerfahren. Deutlicher auf der Linken angesiedelt als die Vorgängerin Künast, hat sie aus der zweiten Reihe heraus mancher Hinwendung der Grünen zum politischen Mainstream energischen Widerstand entgegengesetzt. Trotzdem können nicht nur linke Leitwölfe wie Jürgen Trittin oder Christian Ströbele mit ihr, sondern auch der Realo-Häuptling Joschka Fischer. Das hat - neben der perfekten Quotentauglichkeit: Frau plus Linke - nicht nur den Ausschlag für diese Personalentscheidung gegeben. Es ist auch ein Hinweis auf die Professionalität, mit der die Grünen dabei vorgegangen sind.

Diese Professionalität wird die Partei, wird die neue Spitze brauchen. Das im vorigen Jahr installierte Duo Kuhn / Künast war die Reaktion der Grünen auf ihre neue Rolle als Regierungspartei. Es war die Konsequenz aus der Erkenntnis, dass die Minister wie die Fraktionsführung in einem unerwartet engen Korsett stecken. Ihre Fähigkeit zum für die Partei identitätsstiftenden Konflikt mit dem Kanzler und dessen SPD ist begrenzt: Wenn der Außenminister mal öffentlich meckert, droht gleich eine Regierungskrise. Nur die Parteiführung ist so weit weg vom Geschäft, dass sie gelegentlich "Grün pur" reden kann. Von Herzen eben. Eine Mischung aus Denkfabrik, Speerspitze und Lordsiegelbewahrer der Partei - das war die Jobbeschreibung für Kuhn / Künast. Es bleibt die Anforderung an das Paar Kuhn / Roth.

Ganz so reibungslos wie bei den Vorgängern wird das anfangs nicht klappen - der professorale Schwabe und die emotionale Augsburgerin haben außer dem Studium der Theaterwissenschaft wenig gemeinsam. Das ist kein Traumpaar wie die Vorgänger. Man wird sich zusammenraufen müssen. In der Entscheidung für Claudia Roth liegt also eine Chance und ein Risiko. Die Chance ist ein Gewinn an Glaubwürdigkeit bei Wählern, vor allem bei jenem urgrünen Stammpublikum, das die eigene Partei immer weniger wiedererkennt. Das Risiko ist Frau Roth selbst: Wem das Herz voll ist, dem läuft schon mal der Mund über. Künast war dabei, mit ihren gezielten Provokationen zum Lieblingsfeind nicht nur von Gerhard Schröder zu werden, sondern der ganzen SPD. Das ist munter anzusehen. Aber es ist nicht ganz ungefährlich für eine kleine Partei, deren großer Partner andere zur Auswahl hat. Am meisten darüber gefreut hat sich die FDP. Da wird die Neue aufpassen müssen. Sie taugt als Lieblingsfeindin noch besser. Weil sie, wenn sie sich ärgert, auch das von Herzen tut. In Zukunft sieht der Kanzler Roth.

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