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Meinung: Gulag

Gulag

Seit Alexander Solschenizyns „Archipel Gulag“ von 1974 ist der Begriff auch in Deutschland geläufig. Hierzulande galt das Terrorsystem der sowjetischen Straf- und Arbeitslager stets eher nur als unschöne Begleiterscheinung einer ansonsten positiven Sache: des Aufbaus des Sozialismus in der Sowjetunion. Das stimmt jedoch nicht: Denn das System des Gulag – das Kürzel steht für „Hauptverwaltung Lager“ – begleitet die bolschewistische Herrschaft von Anbeginn an. Lenin selbst gab 1918 den Befehl zur Errichtung der ersten Lager. Bereits 1923 wurde auf den Solowetzki-Inseln hoch im arktischen Norden das erste jener weitläufigen Lager in feindlicher Natur eingerichtet, wie sie für den Gulag so charakteristisch werden sollten und schließlich jenen „Archipel“ bildeten, der auf dem Höhepunkt seiner Ausbreitung nicht weniger als 476 Lager zählte – mit jeweils Hunderten, bisweilen Tausenden von Außenlagern zumal in den unerschlossenen Weiten Sibiriens.

Insgesamt dürften 18 Millionen Häftlinge durch das Lagersystem geschleust worden sein; mindestens viereinhalb Millionen kamen zu Tode. Noch zum Zeitpunkt von Stalins Tod im März 1953 betrug die Zahl der Lagerinsassen, wie NKWD-Chef Berija pedantisch auflistete, 2526402, von denen lediglich 221435 als „gefährliche Staatsverbrecher“ galten.

Und die große Mehrheit der Häftlinge? Wegen der unterschiedlichsten Vergehen, meist einfach als „Volksfeinde“ verhaftet und meist zu zehn oder gar 25 Jahren Haft verurteilt, dienten sie als Arbeitssklaven. Der Gulag, offiziell stets als „Besserungseinrichtung“ gepriesen, entwickelte sich zu einer gigantischen Ausbeutungseinrichtung. Bereits Trotzki pries den Nutzen der Sklavenarbeit; aber es war Stalin, unter dessen Regime sie ins Riesenhafte wuchs. Die Häftlinge sollten in den unwirtlichen Gegenden Rohstoffe abbauen und Verkehrswege bahnen, um so einer späteren Besiedelung den Boden zu bereiten.

Erst mit Stalins Tod gewann die Erkenntnis Oberhand, dass die Sklavenarbeit weniger einbrachte, als sie an Organisationskosten verursachte. Das unsägliche Leiden von Millionen Opfern wurde in der Öffentlichkeit weiterhin übergangen, von Ausnahmen wie Solschenizyns 1962 veröffentlichter Erzählung „Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch“ abgesehen. Russland als Nachfolger der Sowjetunion hat sich bis heute nicht zu den Verbrechen des Gulag bekannt.

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