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Meinung: Handel durch Annäherung

Die WTO-Einigung hat viel mit dem Verhältnis zwischen den USA und Europa zu tun.

An der Geschichte der WTO, der Welthandelsorganisation, lässt sich der Weltenlauf ablesen. Gegründet wenige Jahre nach Zerfall des sowjetischen Imperiums, stand sie für das damals ausgerufene Ende der Geschichte und die Versprechungen des Freihandels. Unter dem Eindruck des Millenniumgipfels und noch mehr unter dem Schock des 11. September 2001 wurde im selben Jahr die sogenannte Doha-Runde ins Leben gerufen. Sie sollte Fehlentwicklungen zu Lasten der Entwicklungsländer korrigieren, eine gerechtere Welthandelsordnung schaffen und, ja, auch dem verbreiteten Hass auf die westliche Lebensweise entgegenwirken.

Die Verhandlungen aber scheiterten ein ums andere Mal, weil aus Ländern wie China und Indien in der Zwischenzeit ernsthafte Marktkonkurrenten geworden waren, die in den Gesprächen aber weiter die ihnen einst zugesagten Erleichterungen für Entwicklungsländer beanspruchten. Die WTO wurde im neuen globalen Verteilungskampf zerrieben und galt gemeinhin als erledigt. Die großen Handelsblöcke, auch die Europäische Union, wandten sich ab und machten sich auf die Suche nach Partnern für bilaterale Abkommen. Entsprechend gering war die Aufmerksamkeit, die dem Treffen auf Bali vorab zuteil wurde.

Nun haben plötzlich doch 160 Staaten eine Reform vereinbart – wenn auch nur zu einem Zehntel aller offenen Handelsfragen. Immerhin ist es die erste Reform ihrer Art in der 18-jährigen Geschichte der WTO. Insofern ist es keine Übertreibung zu sagen, dass auf Bali auch der multilaterale Regelungsansatz und nicht nur die Welthandelsorganisation selbst gerettet worden sind. Beide sind auferstanden aus Ruinen.

Der Überraschungscoup, der in der Sache den großen Nationen wohl noch mehr nutzen wird als kleineren Entwicklungsländern, hat mehrere Ursachen. Angesichts der dümpelnden Weltwirtschaft ist schon seit Jahren klar, dass ein globales WTO-Abkommen einen konjunkturellen Schub auslösen könnte. Freilich wurde damit zu Beginn der vielen gescheiterten Verhandlungsrunden argumentiert. Der Faktor Zeit spielt eine Rolle: Viele Entwicklungsländer wollten selbst auf diese geringen Erleichterungen nicht mehr warten und wählten lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.

Echten Handlungsdruck aber hat erst das transatlantische Wirtschaftsabkommen erzeugt, das seit dem Sommer verhandelt wird. Vielen Akteuren ist klar geworden, dass ohne neue Regeln innerhalb der WTO diese von Europäern und Amerikanern für sie gemacht werden. Denn erklärtes Ziel des EU- USA-Abkommens ist nicht nur der Abbau von Zöllen oder anderweitiger Handelsschranken, sondern auch die Entwicklung gemeinsamer Standards und Normen. Das Kalkül dabei ist klar: Wenn sich die beiden Weltregionen zusammentun, die gemeinsam die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung erzeugen, wird sich der Rest mit großer Sicherheit danach richten müssen. Und je erfolgreicher die WTO arbeitet, umso geringer könnte in Washington und Brüssel am Ende die politische Motivation sein, die Mammutverhandlungen auch wirklich abzuschließen.

Die WTO wird kritisch beäugt – und das angesichts weitreichender Folgen von Handelsliberalisierungen zu Recht. Dem Recht des Stärkeren auf den Weltmärkten ist sie dennoch allemal vorzuziehen.

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