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Meinung: Harmonie der Missklänge

Russlands Präsident Medwedew setzt sich nur scheinbar von Premier Putin ab.

Es sind verwirrende Signale, die die russische Führung nach den Massenprotesten gegen die manipulierten Parlamentswahlen aussendet. Zuerst kündigte Noch-Präsident Dmitri Medwedew an, er wolle innenpolitisch die Daumenschrauben lockern. Die Opposition würde dann wieder den Spielraum bekommen, den sie in der relativ liberalen Jelzin-Ära hatte. Dann erklärte Medwedew, man könne über die Aufhebung des politisch motivierten Urteils gegen Ex-Jukos-Chef Michail Chodorkowski nachdenken, wie es sein bisher nicht gerade durch Renitenz aufgefallener Beirat für Menschenrechte empfohlen hatte. Und den „Gottseibeiuns“ Wladislaw Surkow, wie die Opposition Putins Chefideologen nennt, versetzte er auf einen ehrenvollen, aber einflusslosen Posten innerhalb der Regierung. Surkow war bisher als Vizechef und graue Eminenz der Kremladministration der eigentliche Strippenzieher in Putins staatlich gelenkter Demokratie.

Putin dagegen, der bei der Präsidentenwahl im März zum dritten Mal nach dem höchsten Staatsamt greift, erkennt zwar formell das von der russischen Verfassung verbriefte Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit an. Doch er verunglimpft die Teilnehmer der Massenproteste als Chaosbürger ohne schlüssiges Programm und einheitliche Führung und rät allen, die am Wahlergebnis zweifeln, die Gerichte anzurufen, die „objektive Urteile“ fällen würden. Das alles, obwohl die ersten Klagen bereits mit ähnlich haarsträubenden Verfahrensfehlern wie beim Chodorkowski-Prozess abschlägig beschieden wurden.

Die Dissonanzen seien das letzte Aufbäumen Medwedews, der nach Putins Wiederwahl als Chef eines Kabinetts von Technokraten die politische Gestaltungskompetenz verlieren wird, glauben Optimisten. Doch Medwedew wurde von Anfang an ein Reform- und Demokratiepotenzial angedichtet, das dieser nie besaß. Er ist selbst Teil des Systems Putin und würde bei dessen Zusammenbruch ähnlich wie sein Meister alles verlieren. Auch die Dissonanzen sind nur scheinbar. Wer genauer hinhört, erkennt hinter den Missklängen durchaus Harmonie. Putin gibt das wuchtige Motiv mit Pauken und Trompeten vor. Medwedews Begleitung aus Harfen und Violinen variiert es nur in Nuancen.

Die Demonstranten aber verlangen ein neues Lied. Und neue Dirigenten. Auch für das eigene Orchester. Weil die alten sich mit dem System Putin arrangieren könnten, dessen Teil auch sie waren, bevor sie in Ungnade fielen. Russlands liberalen Eliten wurde der eigene Machttrieb schon oft zum Verhängnis. Er lässt sie auch jetzt wieder in die Falle tappen: Statt vor der entscheidenden Schlacht die Kräfte zu bündeln – umso mehr, da die Protestbewegung nach wie vor in der Minderheit ist – wollen gleich drei Oppositionsführer die angekündigten Lockerungen zur Gründung neuer liberaler Parteien nutzen und damit zwangsläufig miteinander konkurrieren. Es wäre der Schwanengesang auf einen gewaltfreien demokratischen Aufbruch, den Russland so bitter nötig hätte.

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