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Die Hartz-IV-Sätze werden um fünf Euro erhöht.

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Hartz IV: Billigrepublik Deutschland

Egal, ob mit 359, 364 oder 375 Euro im Monat: Ein gutes Leben ist mit Hartz IV kaum möglich. Die staatliche Hilfe ist so gering, die Zumutbarkeitsregeln sind so rigoros, dass Arbeit um jeden Preis Normalität wurde. Doch Minijobber machen keinen Exportweltmeister. Ein Kommentar.

Fünf Euro? Schon klar: Wenn Milliardensummen für die Rettung der Banken fließen und gleichzeitig sehr teure staatliche Maßnahmen den Weg aus der übelsten Wirtschaftskrise verkürzen, dann fehlt bald das Geld an allen Ecken und Kanten. Und dann sind mehr als fünf Euro zusätzlich eben nicht drin für die Hartz-IV-Empfänger. Das meint die Regierung und das meinen die Regierten: Einer Umfrage zufolge sind rund 70 Prozent der Bevölkerung gegen eine Erhöhung dieser Sozialhilfesätze für die Ärmsten in ihren Reihen. Solidarität stößt an Grenzen. Ist ja auch relativ vernachlässigbar, ob es fünf, zehn oder 20 Euro mehr gibt, denn mit 359, 364 oder 375 Euro im Monat ist ein gutes Leben sowieso kaum möglich.

Die rot-grüne Regierung hat das damals so gewollt. Unter der hübschen Etikette „Fordern und Fördern“ bekam die Arbeitsmarktpolitik eine neue Struktur. Das Ergebnis zeigen die Nürnberger Statistiken jeden Monat. Auf der einen Seite stehen erstaunlich wenige Arbeitslose, auf der anderen Seite hat sich ein Niedriglohnsektor entwickelt wie in keinem anderen Land. Leiharbeiter, Ein-Euro-Jobber, 400-Euro-Angestellte, befristet Beschäftigte – dieses Millionenheer an Billigkräften rekrutierte sich die Wirtschaft mit Hilfe der Hartz-Gesetze: Die staatliche Hilfe ist so gering, die Zumutbarkeitsregeln sind so rigoros, dass Arbeit um jeden Preis Normalität wurde. Billigrepublik Deutschland. Gleichzeitig zieht die Masse der Beschäftigten, die von ihrem Einkommen kaum leben kann, das Einkommensniveau insgesamt nach unten. Die in den vergangenen Jahren eher läppisch gestiegenen Gehälter und Löhne hierzulande haben wiederum zur hervorragenden Wettbewerbsfähigkeit der Firmen auf den Weltmärkten beigetragen. Doch damit ist bald Schluss.

Die Firmen suchen derzeit rund 400 000 Ingenieure, Meister, Facharbeiter. Und diese Lücke wird größer. Wegen der Demografie steuern wir auf einen echten Notstand zu. Der Trend muss sich deshalb umkehren: Fachpersonal statt Billigkräfte. In der Industrie ebenso wie im Handwerk und in öffentlichen wie sozialen Dienstleistungen. Besser statt billiger – diese Losung aus der Metallindustrie, der weltweit erfolgreichen deutschen Branche, könnte Vorbild sein. Auch für eine andere Sicht auf die Sozialpolitik. Die staatliche Hilfe sollte ein Leben in Würde, das auch Teilhabe erlaubt, ermöglichen. Und sie hat zum anderen die Chancen zu optimieren, die ein Ausbrechen aus dem System staatlicher Hilfeleistungen ermöglichen. Natürlich über Bildung, natürlich über die frühkindliche Betreuung von Kindern in prekären Verhältnissen. Und das Geld dafür? Natürlich über höhere Steuern für die Wohlhabenden. Fördern – dieser Teil der Agenda-Politik ist vernachlässigt worden. Darunter leiden Langzeitarbeitslose ebenso wie ältere Arbeitslose, Jugendliche mit schlechtem oder gar keinem Schulabschluss, Migranten und auch Alleinerziehende. In den kommenden Jahren wird die Wirtschaft auf Bildung, Qualifizierung und Integration drängen. Denn Minijobber machen keinen Exportweltmeister. Und Hartz-IV-Schraubereien machen den Sozialstaat nicht gerecht.

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