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Hartz-IV-Debatte: Anspruch auf Gerechtigkeit

Es gibt genügend Mittel, "Sozialtourismus" zu verhindern. Das versichern zumindest deutsche Politiker. Diese Tatsache täuscht jedoch nicht darüber hinweg, das die soziale Ungleichheit innerhalb der EU weiter wächst. Dabei soll es doch heißen: Gleiches Recht für alle.

Die Diskussion war gerade sachlich geworden – da funkt nun ausgerechnet die EU-Kommission dazwischen. Nachdem seit Jahresanfang auch Bulgaren und Rumänen überall in Europa ohne Einschränkungen arbeiten können, hatte die CSU unter dem Motto „Wer betrügt, der fliegt“ einen Streit über angebliche ausländische Sozialbetrüger angefacht.

Osteuropäische Einwanderer, so lautet das Horrorszenario, warteten nur darauf, es sich in Deutschland bequem zu machen. Mit ihrer Kampagne bezogen sich die Christsozialen zwar irgendwie auf den Koalitionsvertrag, demzufolge eine Zuwanderung in Sozialsysteme verhindert werden soll, gaben der Diskussion aber einen populistischen Klang.

Die Deutschen reagieren erfreulich gelassen auf diesen Versuch der CSU, vor der kommenden EU-Wahl bei euroskeptischen Wählern zu punkten. Es gibt keine Hasswelle gegen Einwanderer, sondern eine größtenteils sachliche Diskussion, die vor allem eines zeigt: Zuwanderung nützt Deutschland. Gerade einmal 0,6 Prozent der Hartz-IV-Bezieher in Deutschland sind Bulgaren und Rumänen. Außerdem versichert die deutsche Politik ihren Bürgern: Es gibt genügend Mittel, „Sozialtourismus“ zu verhindern.

Hartz-IV-Leistungen nicht nur für Selbstständige

Nun könnte die EU-Kommission unfreiwillig antieuropäischen Kräften Auftrieb geben. In ihrer Stellungnahme zum EuGH-Prozess kritisiert sie die deutsche Praxis, nur selbstständigen EU-Ausländern und Zuwanderern, die zumindest kurzzeitig eine Arbeit in Deutschland hatten, Hartz-IV-Leistungen zu gewähren, als diskriminierend und mit EU-Recht nicht vereinbar. Alle EU-Bürger müssten im Rahmen der Freizügigkeit gleiches Recht auf Sozialleistungen haben.

Damit sagt die Kommission zwar nicht, dass zukünftig alle arbeitslosen EU-Ausländer automatisch Hartz IV bekommen, sie dürften aber nicht mehr pauschal davon ausgeschlossen werden. Jeder Fall soll einzeln geprüft werden – wie bei Deutschen auch. Die Bundesregierung wollte solche aufwendigen Einzelprüfungen vermeiden, auch aus Kostengründen. Und sie hofft, dass die EuGH-Richter dem Gutachten nicht folgen.

Rechtlich ist die Stellungnahme der Kommission gut begründet, trotzdem schafft sie einen Widerspruch. Bisher hieß es, Sozialregelungen seien Sache der Mitgliedsländer. Damit sieht die europäische Politik über viel Elend hinweg, über Dumpinglöhne und verarmte Rentner. Eine europaweite Diskussion über Mindest-Sozialstandards gibt es nicht.

Keine Sozialhilfe für die Bevölkerung bedeutet hungernde Migranten

Zugespitzt formuliert: Wenn es in Griechenland und Italien keine Sozialhilfe für die eigene Bevölkerung gibt, dann dürfen dort auch die Migranten hungern. Doch wenn es woanders soziale Unterstützung gibt, dann soll sie an alle EU-Bürger gleichberechtigt ausgegeben werden.

In Europa stehen totale Ungleichheit und totale Gleichheit nebeneinander. Das ist unhaltbar. In einem Staatenbund, in dem riesige soziale Unterschiede klaffen, können so tatsächlich falsche Anreize entstehen. Das heißt dennoch nicht, dass die von der CSU gefürchteten Massen kommen werden: Die meisten Menschen ziehen nicht deshalb in ein anderes Land, um dort wieder auf der untersten gesellschaftlichen Stufe zu leben, sondern um Arbeit zu finden und Geld zu verdienen. Auch würden die Hartz-IV- Hürden für Zuwanderer immer noch hoch bleiben.

Gerade im Jahr der Europawahl sendet die EU-Kommission mit ihrer Einlassung ein falsches Signal. Die einzig wirkliche Lösung ist sozial gerechteres Europa. Dieser Prozess kann beginnen.

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