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Hartz IV und die FDP: Sprüche schaffen keine Arbeit

Wenn der Einzelne feststellt, dass Arbeit sich nicht lohnt, handelt er völlig rational, wenn er nicht arbeitet. Sobald der Staat den Zugriff auf die Löhne lockert und die Zuerwerbschancen attraktiver macht, werden diese Menschen auch wieder arbeiten.

Martin Luther hat empfohlen, dem Volk aufs Maul zu schauen. Davon, dass man nach Volkes Maul reden solle, sprach er nicht. Bei Guido Westerwelle konnte man in den vergangenen Wochen nicht ganz sicher sein, ob er den Unterschied zwischen Zuhören und Nachplappern verinnerlicht hat. So ganz genau weiß das deutsche Wahlvolk offenbar auch nicht, wie es die flotten Sprüche des FDP-Vorsitzenden über den angeblich „anstrengungslosen Wohlstand“ und die „spätrömische Dekadenz“ einordnen soll. Anders lässt sich jedenfalls nicht erklären, dass die Freien Demokraten in der jüngsten Infratest-Umfrage bei der Sonntagsfrage zwei Punkte zulegen konnten, während in einer anderen Befragung des selben Instituts 64 Prozent der FDP-Anhänger die Sorge äußerten, Westerwelles Rhetorik lädiere das Ansehen der eigenen Partei.

Sicher ist, dass sich viele Bundesbürger, beileibe nicht nur Parteigänger der FDP, Sorgen über die Finanzierbarkeit des Sozialstaats machen. Legitim ist auch, Sanktionen gegen jene zu fordern, die Weiterbildungsangebote der Arbeitsagentur ablehnen oder abbrechen und vor allem jenen die Bezüge zu kürzen, die angebotene Tätigkeiten nicht annehmen, weil es ihnen auskömmlich erscheint, sich mit Hartz IV einzurichten. Weder legitim noch akzeptabel, sondern ganz einfach populistisch handelt aber, wer von der semi-kriminellen Abstauberminderheit so redet, als sei es ein erheblicher Prozentsatz jenes Teils der Bevölkerung, der von staatlichen Transferzahlungen abhängig ist.

In einem Moment, in dem sich die Westerwellefans und ihre Gegner gerade beginnen, in den Wortschützengräben einzunisten, kommt die jüngste OECD-Studie über die Situation auf dem Arbeitsmarkt in 29 miteinander verglichenen Ländern gerade recht. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat festgestellt, dass deutsche Arbeitslose im internationalen Vergleich nicht besser dastehen als Erwerbslose in anderen Industriestaaten. Im Durchschnitt aller 30 OECD-Nationen (Europa plus Japan, USA und Kanada) liegen die Deutschen ohne Job im Mittelfeld, in der rein europäischen Relation schneiden sie sogar schlecht ab, was ihre materielle Lage betrifft. Negativ merkt die OECD an, es gebe in Deutschland zu wenig Anreiz für Langzeitarbeitslose, sich wieder eine regelmäßige Beschäftigung zu suchen. Hohe Steuern und Sozialabgaben machten die Rückkehr auf den ersten Arbeitsmarkt unattraktiv. Von jedem Zuverdienst würde zu viel weggesteuert, das mache auch die schrittweise Rückkehr ins Berufsleben uninteressant. Man kann das Ergebnis der Vergleichsstudie kurz und knapp auch so zusammenfassen: In Deutschland sind nicht die Transferleistungen zu hoch, sondern die Erwerbseinkommen zu gering.

Wenn der Einzelne beim Vergleich zwischen dem erzielbaren Nettoeinkommen im unteren Lohnbereich und der Höhe der Transferleistungen feststellt, dass Arbeit sich nicht lohnt, handelt er völlig rational, wenn er nicht arbeitet. Sobald der Staat den Zugriff auf die Löhne lockert und die Zuerwerbschancen attraktiver macht, werden diese Menschen auch wieder arbeiten. Ob man das nun mit Kombilöhnen oder Mindesttarifen begleitet, sollte weniger als ideologische Entscheidung betrachtet werden, wie das im Moment geschieht, sondern als eine, die sich ausschließlich am Erfolg der Maßnahmen ausrichtet. Alles, was mehr Arbeitsmöglichkeiten bei einem lebenswerten Gesamteinkommen eröffnet, muss willkommen sein.

Die trennenden Mauern zwischen der SPD auf der einen und der schwarz-gelben Regierung auf der anderen Seite sind dabei nicht so hoch, wie es die verbalen Prügeleien glauben machen. Im schwarz-gelben Koalitionsvertrag ist eine Ausweitung der Zuarbeitsmöglichkeiten für Transferempfänger vorgesehen. Auch Sozialdemokraten streben das an. Im Moment aber weiß keiner genau, ob Guido Westerwelle uns erst für das Problem sensibilisiert hat oder mit seinen Sprüchen dessen Lösung behindert. Als Ausrede, dass das für richtig erkannte nicht schnell umgesetzt wird, taugt weder das eine noch das andere.

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