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Kann man von Hartz IV menschenwürdig leben?

© dpa

Hartz IV: Wie kann man von der Grundsicherung leben?

391 Euro monatlich plus Miete - wer kann davon menschenwürdig leben? Das fragt unser Leser Wolfgang Bayer. Lesen Sie hier die Antwort von Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit.

Unser Leser Wolfgang Bayer aus Berlin schreibt in einem Leserbrief:

"Mit dem elenden Sozialabbau à la Hartz wird der moderne Sozialstaat nach und nach in eine vormoderne Suppenküchengesellschaft umgewandelt. Immer mehr arme Menschen sind wie im Mittelalter auf mildtätige Gaben angewiesen, während ganz oben in den Vorständen der Wirtschaft obszön hohe Millionengehälter und Boni aus den Firmenkassen entnommen werden können. Im Artikel heißt es: 'In Deutschland beziehen 4,3 Millionen Menschen Hartz IV, offiziell Arbeitslosengeld II genannt.'

Damit ist wohl die Anzahl der Hartz- IV-Haushalte gemeint. Insgesamt haben 2013 in Deutschland rund 6,04 Millionen Menschen die Grundsicherung für Arbeitsuchende (Hartz IV) erhalten. Wenn noch weitere Gruppen wie Rentner mit Anspruch auf „Grundsicherung“ mit einbezogen werden, haben 2013 in Deutschland rund 7,4 Millionen Menschen die 'soziale Mindestsicherung' von 391 Euro monatlich plus Miete erhalten. Wer kann davon menschenwürdig leben?"

Hier die Antwort von Heinrich Alt, Vorstand Arbeitsmarkt bei der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg:

So notwendig und richtig die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zur Grundsicherung für Arbeitsuchende war, keine andere Sozialreform hat unser Land so verändert wie diese. Die neue Botschaft lautet, jeder wird gebraucht statt nur versorgt. Weg von der Alimentierung, hin zur Aktivierung. Zutrauen in Fähigkeiten und Talenten und keine lähmende Fürsorge. Es gibt keine Klassengesellschaft mehr. Jeder hat den gleichen Zugang zur Arbeitsmarktpolitik. Armut wurde sichtbar und deutlich abgebaut.

Ich halte es für Unsinn zu sagen, Hartz IV ist Armut per Gesetz. Tatsächlich hat sich für viele Menschen vieles zum Positiven gewendet. In keiner Zeit wurde so ernsthaft und spürbar mit Erwerbslosen an ihren Integrationschancen gearbeitet. Es ist gelungen, ein Gleichgewicht zwischen Versorgung, Unterstützung und Erwartung zu finden. Zu einem aktivierenden Sozialstaat gibt es für mich keine Alternative. Ich verstehe jeden, der Angst davor hat, seine Arbeit zu verlieren und dies mit einem sozialen Abstieg verbindet. Ich verstehe auch, dass es von vielen als ungerecht empfunden wird, dass Menschen, die lange Zeit gearbeitet haben, die gleichen Leistungen erhalten wie Menschen, die noch keinen Tag in ihrem Leben beschäftigt waren.

Heinrich Alt
Heinrich Alt

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Es wird aber nie ein völlig gerechtes und von jedem akzeptiertes Sozialsystem geben können. Ein Sozialstaat kann nicht den Lebensstandard sichern, sondern muss den Lebensunterhalt garantieren. Es ist nicht einfach, mit Hartz IV über die Runden zu kommen. Nur Lebenskünstler können dauerhaft am Existenzminimum leben. Als Überbrückung ist das vertretbar, aber auf lange Sicht ist Transferbezug menschenunwürdig. Wir dürfen daraus keinen Dauerzustand werden lassen. Das ist die eigentliche Herausforderung. Wie gelingt es uns, Menschen darin zu unterstützen, so schnell wie möglich wieder unabhängig von staatlichen Transfers zu leben.

Wir müssen ihnen glaubhaft das Gefühl vermitteln, dass wir ihnen etwas zutrauen, um ihre Eigenverantwortung zu stärken. Wenn wir zu fürsorglich handeln, nehmen wir ihnen das Selbstbewusstsein. Wir lösen das Problem der Menschen nicht, in dem wir immer nur über Geld reden. Der teilweise zermürbende Kampf um die Leistung führt nie zu einem befriedigenden Ergebnis. Am Ende ist es immer zu wenig. Wir müssen über Chancen sprechen. Nur so kann es gelingen, wieder Fuß auf dem Arbeitsmarkt zu fassen. Denn am Ende lösen wir das Problem nur über die Integration in Beschäftigung.

Arbeit ist nicht nur die Quelle für Einkommen, sondern sie gibt auch das gute und wichtige Gefühl, gebraucht zu werden. Wir haben heute deutlich mehr Einstiegschancen in den Arbeitsmarkt. Leider noch nicht als Einbahnstraße. Es kommen noch zu viele auf der Gegenfahrbahn zurück. Daran müssen wir arbeiten. Moderne Sozialstaaten zeichnen sich dadurch aus, dass jeder die Chance erhält mitzutun. Lebensrisiken müssen abgesichert sein, um den Bürgern die Angst vor sozialem Abstieg zu nehmen. Es geht auch darum, die Ursachen der Armut zu bekämpfen. Es geht um gleiche Zugangs- und Teilhabechancen, die schon in der Kita anfangen.

Armut beseitigen heißt in erster Linie investieren und nicht umverteilen. Bildung stärken und existenzsichernde, gute Arbeit schaffen. Soziale Integration durch gesellschaftliche Teilhabe statt Ausgrenzung – das muss der Kern der Debatte sein und bleiben. Bei den intensiven Diskussionen um wachsende Ungleichheiten in unserem Land sollten wir uns davor bewahren, gesellschaftliche Gruppen gegeneinander auszuspielen. Ich sehe keine viel zitierte und oft beschworene Verrohung der Gesellschaft. Im Gegenteil. Ich sehe viel zivilgesellschaftliches Engagement in Form von Patenschaften, Jobcoaches, Sozialfirmen und Unternehmen die bereit sind, auch soziale Verantwortung zu übernehmen. Lasst uns nicht die falschen Debatten führen, die schnell das gesellschaftliche Klima vergiften können. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende basiert vor allem auf einem – Solidarität. Solidarität zwischen denen, die in Beschäftigung sind, und denen, die momentan nicht das Glück haben.

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