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Meinung: Heißes Pflaster, kühler Kopf

Der Jemen zerfällt – und lockt wie Afghanistan und Somalia den Terror an

Der Erste hatte den Sprengstoff im Hintern, der zweite in der Hose. Als im vergangenen August im Palast des saudischen Vize-Innenministers in Dschidda ein Al-Qaida-Attentäter seine im Enddarm platzierte Ladung zündete, galt dies zunächst als ein ebenso kurioser wie tückischer Mordversuch unter Arabern – in Europa und den Vereinigten Staaten bestenfalls von ein paar Sicherheitsspezialisten registriert. Konsequenzen wurden nicht gezogen. Eine im Vorfeld veröffentlichte Erklärung von Al Qaida im Jemen, man arbeite an neuen Attentatsmethoden, die herkömmliche Sicherheitskontrollen unterlaufen, blieb unbeachtet.

Seit Weihnachten nun sind Regierungszentralen und Öffentlichkeit rund um den Globus aufgeschreckt. Nach dem gescheiterten Anschlag auf den Airbus nach Detroit richten sich alle Augen auf den Jemen, wo der Nigerianer von Al Qaida angeworben und präpariert worden war. Denn in dem Land an der Südspitze der Arabischen Halbinsel machen sich Chaos und Zerfall breit. Ihm droht ein Schicksal wie Afghanistan oder wie Somalia auf der anderen Seite des Golfs von Aden, der wohl wichtigsten Schifffahrtsroute der Welt.

Somalia existiert schon seit Jahrzehnten nicht mehr und macht nur noch als Piratenbasis von sich reden. Auch Jemen ist allenfalls ein loser Verbund von Stämmen, Regionen und bewaffneten Gruppen. Ali Abdullah Saleh, dem ersten und bisher einzigen Präsidenten nach der Wiedervereinigung 1989, entgleiten die Zügel. Seine Macht endet vor den Toren der Hauptstadt Sanaa. Der Norden versinkt im Bürgerkrieg, der Süden rebelliert. Das eigene Öl, das zu 70 Prozent den Staatshaushalt finanziert, geht zur Neige. Und die Bevölkerung wächst so schnell wie die Armut. Denn abgesehen von der Volksdroge Kath wird praktisch nichts mehr produziert.

Und wie zuvor am Hindukusch beginnt Al Qaida sich jetzt auch in dem Staatskadaver des Jemen festzusetzen. Die zerklüfteten Bergregionen des Landes dienen den Kämpfern aus Saudi-Arabien, Afghanistan und Irak als sichere Verstecke. Noch gelten die meisten Anschläge einheimischen Offizieren, Polizisten oder Soldaten, die im Anti-Terror-Kampf eingesetzt sind. Immer massiver jedoch richten sich die Drohungen auch gegen die Mitarbeiter ausländischer Botschaften, die nicht alle hinter den Schutzmauern ihrer Missionen wohnen. Erst vor gut einem Jahr war die amerikanische Botschaft in Sanaa Ziel einer hochkomplexen Selbstmordaktion. Ein ähnliches Attentat sollte jetzt offenbar auch die britische Botschaft treffen.

Seitdem sind die beiden diplomatischen Vertretungen geschlossen und guter Rat teuer. Was aber tun? Einen weiteren Krieg gegen den Terror beginnen – so teuer und verlustreich wie der in Afghanistan? Rasch werden jetzt Sofortprogramme aufgelegt, Finanzmittel aufgestockt und die Entsendung von Soldaten diskutiert. Für Ende Januar bittet Großbritannien nach London zu einem globalen Jemen-Gipfel. Doch die frühere Kolonialmacht, die das Land schon vor hundert Jahren nie richtig in den Griff bekommen hat, weiß, dass es auf die neue Bedrohung keine schnelle und durchgreifende Antwort gibt. Ein überbevölkertes, in Anarchie verfallendes Staatsgebilde lässt sich weder durch ausländische Bodentruppen wieder ins Laufen bringen noch durch eine Welle von Entwicklungshilfe.

Zudem hat Jemens strauchelnder Präsident Ali Abdullah ganz andere Prioritäten als seine vielen westlichen Besucher, die jetzt wieder nach Sanaa eilen. Er will, koste es, was es wolle, den Krieg im Norden gewinnen und die Sezessionsbewegung im Süden unterdrücken. Die Umtriebe von Al Qaida dagegen sind für ihn eher lästiges Beiwerk, mit dem sich allerdings in den USA und in Europa zusätzliche Waffen- und Finanzhilfen für seinen Militärapparat eintreiben lassen. Im Kampf gegen den Terror ist Saleh darum kein besserer Partner als sein afghanischer Amtskollege Hamid Karsai. Das weiß man auch in Washington.

So bleiben als Optionen wohl nur ein kühler Kopf und langer Atem – geduldige Fahndung, Einbezug der lokalen Bevölkerung sowie der Aufbau jemenitischer Spezialeinheiten. Denn auch der Attentäter von Detroit hätte, wie man heute weiß, rechtzeitig enttarnt werden können.

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