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Schmidt

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Helmut Schmidt: Seine Zeit

Demnächst, viel fehlt nicht mehr, wandelt Altkanzler Helmut Schmidt mit seinen Sätzen übers Wasser - einerlei, was er sagt. Diese Sätze, die er spricht, wie gedruckt - sie werden bleiben. Und er weiß es auch schon.

Überlebensgroß lautet das Wort, das gerne verwendet wird, je länger der Schatten eines Menschen wird, den sie unter den Seinen einen Großen nennen. Helmut Schmidt wird nicht mehr nur unter den Seinen, unter den Sozialdemokraten, groß genannt, und er hat das Glück, noch erleben zu dürfen, wie sich sein Werk in die Geschichte einprägt, wie sich das Bild, das sich so viele von ihm gemacht haben, nicht immer schmeichelhaft, wandelt. Demnächst, viel fehlt nicht mehr, wandelt er mit seinen Sätzen gleichsam übers Wasser, einerlei, was er sagt.

Auf seine Weise war er immer alles, der große Weise, der kleine Besserwisser. Ein Brevier von Schmidt hätte zum Ende seiner großen Zeit eher eine kleine Auflage gehabt. Nun, da sich sein Leben, wie er selbst sagt, dem Ende zuneigt, so dass er keine großen Pläne und großen Bücher mehr machen mag, sprengt er jede Auflage, und käme er auf die Idee, Gespräche nur noch in Zigarettenlänge zu führen. Eine Form übrigens, die kongenial zu ihm wirkt: kurz, mitunter schroff, klar im Urteil, nichts vernebelnd. Und niemand stiehlt ihm die Zeit.

Diese Sätze, die er spricht wie gedruckt – sie werden bleiben. Und er weiß es schon. Niemand arbeitet so uneitel, aber auch so effektiv an seinem Nachruhm. Sein Nachruf verfasst sich von selbst, von ihm selbst, wenn er denn dermaleinst nötig werden wird. Worte werden bleiben – und, Verzeihung, eine Haltung. Wollen wir doch einmal geschmäcklerisch unterscheiden zwischen Positionen und Haltung. Beides hatte er immer, eine Position hat ihn das Amt gekostet. Aber es war eben auch eine Haltung, die nicht immer Konjunktur hatte, eine, die von Standfestigkeit, Rationalität, Aussagenlogik kündet. Ja, heute kaum vorstellbar, muss man sagen, dass Helmut Schmidt lange keine Konjunktur hatte, und darin liegt ein intellektueller Binnenwitz. Denn heute – ausgerechnet oder logisch? – ist das anders, nicht allein wegen seines sagenhaften Geburtstages, sondern wegen der Finanzkrise, die einen wie ihn brauchte, um sich beherrschen zu lassen. Einen, der sie beherrschen will.

So viel Popper hat er immer vorgeführt, oder besser: auf sich und für sich abgeleitet: Demokratie ist nicht die Herrschaft des Volkes, sondern die Möglichkeit, die Regierung abzuwählen, gewaltfrei. Also sollen die Regierten wissen, was sie bekommen. Gegen die geschlossene, die totalitäre, steht die offene Gesellschaft, aber wohlgemerkt, ein Laisser-faire gibt es mit ihm nicht. Gab es nie mit ihm, wie auch keine Heilspläne, keine Ideologie. Das hat er sich nie gestattet, anderen auch nicht. Wenn Ideologie, dann ist seine die der Intellektualität: Alles ist einer ständigen Kritik ausgesetzt, der Staat ein notwendiges Übel, der eine ausreichende Grundversorgung bereitstellt, aber den Bürgern keine Wohltaten erweist. Popper schlägt der Politik als Leitlinie statt der Maximierung des Glücks die bescheidenere Minimierung des Leidens vor. Und nun lese Schmidt aufs Neue, wer ihn über die vergangenen Jahre nicht hören konnte.

Das waren, seien wir ehrlich mit ihm und uns, die wir ihn noch erlebt haben, nicht wenige. Doch jetzt, jetzt wird er zum Maßstab. Er ist endgültig zu einem der Großen dieser Republik geworden, die Maßstab bleiben werden, mit Weizsäcker, Kohl, Genscher. Die es alle vermocht haben, an ihren besten Tagen sowohl Glück zu maximieren als auch Leid zu minimieren. Auch wenn einer wie Schmidt, anders als die anderen, das nicht hören will.

Alle, die nach ihm kamen, haben von Schmidt profitiert, haben gelernt, dass im Widerstehen auch eine tiefe Form demokratischer Gesinnung, ja Gesittung zu finden ist. Einer wie Gerhard Schröder wollte immer Schmidt genügen. Für die Heutigen ist er, seiner Art wegen, tatsächlich geeigneter zu Vorbild als jeder andere: Als kritischer Rationalist möchte Frank-Walter Steinmeier nur zu gerne gelten. Und gibt es ein größeres Kompliment für Schmidt, den niemand im Uneitlen übertreffen soll, als dass Angela Merkel sagt, sie stamme wie er aus Hamburg?

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

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