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Henryk Broder

© privat

Henryk M. Broder: Wir Simulanten

In Deutschland kann der Schauspieler Peter Sodann für das höchste Amt kandidieren und muss nicht einmal fürchten, sich lächerlich zu machen. Warum das so ist, erklärt hier Henryk M. Broder.

Wenn Kinder gefragt werden, was sie „später einmal“ werden möchten, sagen die Jungs: Raumfahrer, Eventmanager oder Moderator. Bei Mädchen ist es die Schönheitskönigin, das Model oder die Freundin von Boris Becker. Kaum vorzustellen, dass ein Kind sagen würde: „Ich möchte BundespräsidentIn werden.“ Auch wenn manche Kinder dazu neigen, sich zu überschätzen, wissen doch die meisten, wo die Realität aufhört und das Reich der Phantasie anfängt.

Ganz anders der Schauspieler Peter Sodann, 72, der von der Nachfolgeorganisation der früheren DDR-Staatspartei SED, die heute als DIE LINKE firmiert, für das Amt des Bundespräsidenten nominiert wurde. Er soll gegen den Amtsinhaber Horst Köhler und die Kandidatin der SPD, Gesine Schwan, ins Rennen geschickt werden.

Dagegen wäre im Prinzip nichts einzuwenden, denn Demokratie lebt von der Vielfalt und der Konkurrenz. Käme ein Opel-Corsa-Fahrer freilich auf die Idee, bei einem Formel-1-Rennen anzutreten, würde er die anderen Teilnehmer nicht das Fürchten lehren, sondern für allgemeine Heiterkeit auf den Rängen sorgen.

"Etwas mehr Heiterkeit"

Tatort-Kommissar Bruno Ehrlicher alias Peter Sodann macht bei dem Rennen aber nicht nur aus Spaß an der Freud' mit. Er sagt: „Mein Herz hat immer links geschlagen“, deswegen wolle er mithelfen, „langfristig die Utopie einer gerechteren und friedlicheren Welt zu verwirklichen“.

Kurzfristig würde er als Bundespräsident dafür sorgen, dass „in dieses Amt etwas mehr Heiterkeit hineinkommt“, er würde „für die Welthungerhilfe sammeln und mich an die wenden, die in der letzten Zeit so viel Geld angehäuft haben, dass es fast unsittlich ist, es überhaupt anzunehmen“; und er würde eine neue Nationalhymne vorschlagen: Brechts Kinderhymne.

Obwohl Sodanns Vorstellungen vom Amt des Bundespräsidenten recht lustig sind, hat niemand aufgelacht. Das wiederum kommt nicht daher, dass die Deutschen keinen Humor hätten, die Art, wie sie die Finanzkrise meistern, zeugt vom Gegenteil. Es kommt daher, dass sie den Kandidaten für einen echten Polizeikommissar halten, der unter dem Pseudonym Peter Sodann politische Probleme so lösen würde wie es Kommissar Bruno Ehrlicher mit seinen Kriminalfällen gelingt: Mit Augenmaß, Herz und Witz.

Nicht der erste Rollenwechsel vom fiktiven ins wahre Leben

Immerhin wurde Bruno Ehrlicher schon 1999 von der sächsischen Polizeigewerkschaft zum ersten „Ehrenkommissar des Freistaates Sachsen“ ernannt, eine Auszeichnung, die Peter Sodann dankbar annahm.

Der geborene Sachse ist nicht der erste, der einen Rollenwechsel aus dem fiktiven in das wahre Leben riskiert. Klausjürgen Wussow spielte so lange den „Prof. Brinkmann“ in der „Schwarzwaldklinik“, bis er selbst davon überzeugt war, dass er eine Ahnung von Medizin hatte. Viele seiner Zuschauer trauten „Prof. Brinkmann“ mehr zu als dem eigenen Hausarzt und baten ihn um fachlichen Beistand. Als Horst Tappert nach 281 Folgen in 24 Dienstjahren als „Oberinspektor Derrick“ zur Interpol versetzt wurde, wollte Fritz Wepper, der Derricks Assistenten Harry Klein spielte, unbedingt zu seinem Nachfolger befördert werden und die Leitung der Abteilung übernehmen, wie das in einer echten Mordkommission auch der Fall gewesen wäre. Heute sitzt fast in jeder Talkshow ein Schauspieler oder eine Schauspielerin, der/die sich für die Teilnahme an der Runde durch seine/ihre Rolle qualifiziert hat. War eine Schauspielerin in einer Vorabendserie als allein erziehende Mutter zu sehen, kann man davon ausgehen, dass sie bald auch an einer Diskussion über die Nöte allein erziehender Mütter teilnehmen wird. Vor kurzem saß bei Anne Will ein Schauspieler, der als „Kommissar“ in einem „Tatort“ wegen Brandstiftung in einem Asylantenheim ermittelt hatte. Das war auch das Thema bei Anne Will.

Im deutschen Fernsehen sind solche Simulationen inzwischen Routine. Deswegen kann auch Peter Sodann für das höchste Amt kandidieren, ohne fürchten zu müssen, sich lächerlich zu machen. Nur als Ronald Reagan Präsident der USA wurde, wollte das Gelächter über den Cowboy im Weißen Haus nicht mehr aufhören. Nicht anders erging es Arnold Schwarzenegger, als er mit immerhin 48 Prozent der Stimmen vor fünf Jahren zum Gouverneur von Kalifornien gewählt wurde. Ein echter Muskelmann in der Politik. So sind die Amis! In Deutschland muss es wenigstens ein falscher Kommissar sein.

Der Autor ist Reporter beim Magazin "Spiegel".

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