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Herzversagen: Dominik Brunner: Der provozierte Held

Dominik Brunner starb nicht an den Tritten, mit denen er traktiert wurde, sondern an Herzversagen. War er trotzdem ein Held? Über den Herzfehler des Münchner Prügelopfers – und seine Folgen.

Dominik Brunner, der „Held von Solln“, ist schon lange unsterblich. Weil er wehrlose Kinder gegen zwei gewaltbereite junge Männer schützte, wurde er im September 2009 auf einem Münchner S-Bahnhof zu Tode geprügelt, sagt die Staatsanwaltschaft. Seither feiert ihn die Republik als leuchtendes Vorbild für Zivilcourage. Gleich mehrere Stiftungen wurden in seinem Andenken gegründet. Brunner erhielt posthum den Bayerischen Verdienstorden und das Bundesverdienstkreuz erster Klasse. Im Münchner Stadtteil Solln soll eine Straße nach ihm benannt werden.

Im sogenannten Mordfall Brunner, der jetzt vor der Jugendkammer des Landgerichts München I verhandelt wird, gab es vergangene Woche eine überraschende Wende: Dominik Brunner starb gar nicht an seinen Verletzungen, er hatte trotz der Fußtritte weder Knochenbrüche noch schwere innere Blutungen. Todesursächlich war, wie die Staatsanwaltschaft jetzt erstmals einräumte, Herzversagen aufgrund einer schon länger bestehenden, krankhaften Vergrößerung des Herzmuskels (Hypertrophe Kardiomyopathie, HCM). War Brunner, dessen „großes Herz“ sich zu Tode erschreckte, trotzdem ein Held? Sind die Täter, wie die Staatsanwaltschaft beharrlich behauptet, trotzdem Mörder?

Die HCM ist eine tückische Krankheit, weil sie oft keine Symptome verursacht. Auch beim Abhören (Auskultation) des Herzens bleibt die angeborene Störung häufig unbemerkt. Durch die zunehmende Verdickung der Herzwand bekommt der Herzmuskel jedoch immer weniger Sauerstoff. Insbesondere bei plötzlicher Belastung kann es dann zum gefürchteten „Kammerflimmern“ kommen: Die elektrische Steuerung des Herzschlages versagt, der Herzmuskel zittert und pumpt kein Blut mehr durch den Kreislauf. Die meisten Fälle von „plötzlichem Herztod“ bei Sportlern gehen auf eine HCM zurück, etwa jeder Tausendste trägt die Erbanlagen in sich.

Allerdings lässt sich die HCM bei einer gewöhnlichen EKG-Untersuchung feststellen, wie sie etwa bei „Gesundheitschecks“ Routine ist. Wenn Brunner von seiner Herzerkrankung wirklich nichts wusste, wie die zuständige Oberstaatsanwältin versichert, hatte der 50-jährige Finanzvorstand seit Jahren kein EKG machen lassen.

Rechtlich kommt es allerdings nicht darauf an, ob Brunner von seinem Herzfehler wusste oder nicht. Wie sich inzwischen herausstellte, hatte der begeisterte Kampfsportfan, der zeitweise Karate und Boxen trainierte, nach dem Aussteigen am Bahnhof Solln seine Lederjacke ausgezogen, seine Tasche abgestellt, sich mit erhobenen Fäusten in Kampfstellung aufgebaut und als erster einen der beiden jungen Männer mitten ins Gesicht geschlagen. Der Geschlagene rastete daraufhin völlig aus und trat mit seinen Turnschuhen auf das Opfer ein. Als die Täter von Brunner abließen, stand er noch einmal auf, griff nach seiner Brille und sagte noch etwas. Erst dann sank er plötzlich nieder, lief blau an und starb.

Bei diesem Tathergang lässt sich die von der Staatsanwaltschaft behauptete vorsätzliche Tötung aus Rache („Mord“) nicht halten. Eine Verurteilung kommt höchstens noch wegen Totschlags (mit Tötungsvorsatz) oder Körperverletzung mit Todesfolge (ohne Tötungsvorsatz) in Frage. Selbst dafür wäre ein „spezifischer Gefahrzusammenhang“ zwischen der Körperverletzung und Brunners Herztod Vorraussetzung. Ob heftigen Fußtritten typischerweise die Gefahr des Herztodes durch eine seltene Krankheit anhaftet, ist aber durchaus fraglich.

Gerade wenn die Täter mit relativ milden Strafen davonkommen sollten, drängt sich die bedrückende Frage auf, ob Wegschauen nicht besser gewesen wäre. Dass Brunner für seine Zivilcourage einen hohen Preis zahlen musste, hat allerdings auch mit seinem Verhalten zu tun. Statt sich von den Alkoholisierten provozieren zu lassen, hätte er mit den Kindern einfach weggehen und vor allem die zahlreichen Passanten zur Hilfe auffordern können. Die bloße Überzahl der Verteidiger bringt selbst extrem Gewaltbereite fast immer zur Vernunft. Der Fall Brunner ermutigt zur Zivilcourage, gerade weil wir aus ihm lernen können, wie man es nicht machen soll. Dominik Brunner kann deshalb kein Vorbild sein. Ein Held ist er trotzdem, wenn auch ein tragischer.

- Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle.

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